„Untadelig“
In den heutigen Nachrichten rund um die Anschuldigungen gegen den Bundeskanzler – vorerst stellvertretend für mehr oder weniger nahe Mitarbeiter der letzten Jahre – fiel mir auf, dass immer wieder die Forderung nach einer „untadeligen“ Person für dieses Amt erhoben wurde.
Das habe ich mit einer Mischung von Befremden wie auch Amüsement aufgenommen. „Untadelig“ ist nämlich nur eine Bewertung – es ist aber keine Tatsachenaussage.
Tatsächlich kann man nach Lust und Laune tadeln – und das geschieht ja seit vielen Jahren: in Beziehungen, in Familienzweigen, in schulischen Einrichtungen, beim Militär … und besonders gern in Medien.
In den verschiedenen psychotherapeutischen Schulen findet sich hingegen überall der Grundsatz und die Mahnung: Die „Person“ ist immer zu respektieren – nicht aber ihr konkretes Verhalten, denn das unterliegt ihrer Willensfreiheit. Genau das überprüfen ja dann die jeweils zuständigen Gerichte und verlangen Beweise, und wenn sich diese jenseits der – aus welchen Absichten heraus – unterstellten Motive mehrdeutig erweisen, wird durch die Befragung der „getadelten“ Person zu erspüren versucht, ob diese ihr Verhalten so glaubhaft erklären kann, dass man sie als von Schuld freisprechen kann oder eben nicht […]