Mag. Paul Weiland
Kirchengebäude – eine Bereicherung des Alltags
Text von
Mag. Paul Weiland
Jede Zeit hat ihre Persönlichkeiten. Jede Zeit hat auch ihre Bauwerke. In besonderer Weise trifft das auch auf die Kirchenbauten zu. Wobei sich für viele heute die Frage stellt, ob der Bau von Kirchen überhaupt noch zeitgemäß und angebracht ist.
Die Infragestellung kommt dabei von verschiedenen Seiten. Einerseits ist es die abnehmende Zahl der Kirchenmitglieder, die in manchen Ländern zur Folge hat, dass Kirchen geschlossen oder verkauft und für andere Nutzungen freigegeben werden. Andererseits ist es auch das theologische und liturgische Nachdenken über eine angemessene Ausdrucksform von Gotteshäusern heute. Schließlich meint wieder eine andere Gruppe, Religion sei Privatsache und habe ihm öffentlichen Raum keinen Platz. Dazu kommen auch noch kircheninterne Überlegungen, wie knapper werdende Ressourcen möglichst effizient eingesetzt werden sollen.
Ich möchte in diesem Beitrag für die Festschrift von Metropolit Erzbischof Michael, eine besondere Persönlichkeit und ein glaubwürdiger und überzeugender Repräsentant der Kirchen und der Ökumene heute, anhand von zwei Kirchenbauten in der jüngsten Zeit in der Evangelischen Diözese A.B. Niederösterreich diesen Fragen nachgehen und Antworten versuchen. Es handelt sich dabei um die Kirche der Frohen Botschaft in Waidhofen an der Thaya, Evangelische Pfarrgemeinde Gmünd, geplant und gebaut vom Architekten und Künstler Efthymios Warlamis. Die Kirche wurde am 30. Oktober 2004 eingeweiht.
Das zweite Beispiel ist die Martin Luther-Kirche in Hainburg an der Donau, Evangelische Pfarrgemeinde Bruck an der Leitha-Hainburg an der Donau, deren Entwurf und architektonische Gestaltung vom international renommierten Architekten Wolf D. Prix von COOP HIMMELB(L)AU stammt. Diese Kirche wurde am 30. April 2011 eingeweiht.
Von der Entstehung und von der Gestaltung her sind die Kirchen höchst unterschiedlich, aber in beiden Fällen als sehr gelungene und den modernen Kirchenbau prägende Beispiele zu bezeichnen, die im Stadtbild Akzente setzen und auch für die Aktivitäten der Gemeinden sehr gute Voraussetzungen bieten.
In beiden Gemeinden handelt es sich um Diasporagemeinden, die ein größeres Gebiet umfassen und mehrere Predigtstationen haben. Für beide war der Entschluss zum Bau einer neuen Kirche nicht nur theologisch und architektonisch eine besondere Herausforderung, sondern auch finanziell. Das hat die Gemeindemitglieder von Anfang an stark in die Pflicht des Mitdenkens und der Mitentscheidungen genommen.
In beiden Gemeinden hat der Beschluss zum Bau einer neuen Kirche zu einer regen Auseinandersetzung im positiven und auch im negativen Sinn geführt. Gerade auch die kritischen Anfragen wie zum Beispiel, ob das Geld nicht sinnvoller in die seelsorgerliche Arbeit bzw. in bestehende Gebäude investiert werden sollte oder ob die Zahl der durchschnittlichen Gottesdienstbesucher einen solchen Einsatz an personellen und finanziellen Ressourcen rechtfertigen würde, waren sinnvoll für eine letztendlich positive Entscheidung und Entwicklung.
In beiden Projekten setzte sich nach vielen Diskussionen die Meinung durch, dass es heute nicht genügt, einfach „ein Dach über dem Kopf“ zu errichten, sondern dass das Kirchenensemble sowohl als Ort der Begegnung mit Gott und als Treffpunkt der Gemeindeglieder von besonderer architektonischer, künstlerischer und spiritueller Qualität sein muss. Dieser hohe Anspruch wurde – abseits von allen gemeindlichen und geistlichen Anliegen – in der konkreten Zielsetzung formuliert, dass Stadtführungen in diesen Städten ohne den Besuch der jeweiligen Evangelischen Kirche defizitär wären.
Hier zeigt sich eine Änderung im protestantischen Denken im Blick auf das Kirchengebäude. Natürlich gilt für die Evangelische Kirche, dass prinzipiell an jedem Ort Gottesdienst gefeiert werden kann und dass es Heilige Räume oder Orte im Sinn eines magischen Verständnisses in unserer Tradition nicht gibt. Geheiligt wird der Raum durch das Wort Gottes. Und dennoch „predigt“ der Raum mit. Dennoch ist es nicht unerheblich für den Menschen, in welcher räumlichen Umgebung ihn oder sie das Wort Gottes trifft. Dennoch zeigen die Gestaltung und die Materialen des Raumes, wie wichtig und wie ernst, ja wie heilig, mir selbst die Sache ist, um die es hier geht.
In der evangelischen Tradition Österreichs wird in diesem Zusammenhang immer wieder auf die Zeit des Geheimprotestantismus verwiesen, in der in Privatzimmern oder gar in Höhlen oder Waldverstecken Gottesdienst gefeiert werden musste und auch Gottesdienst gefeiert werden konnte. Allerdings ist es meiner Meinung nach nicht zulässig, eine defizitäre Zeit, und das ist die Zeit des Verbots der öffentlichen Ausübung des Glaubens jedenfalls, zum Maßstab und zur Norm zu erheben. Immerhin haben die Jünger Jesu den Auftrag: „Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird ins Ohr, das predigt auf den Dächern“ (Matthäusevangelium 10/27), also öffentlich, sichtbar und hörbar.
Wahrzeichen der Liebe Gottes
Weil Glaube vom Ansatz und vom Anspruch her nicht nur Privatsache ist, darum ist es sinnvoll, wenn es nicht nur private „Glaubenshäuser“ im jeweiligen Menschen selbst oder im nichtöffentlichen Bereich gibt, sondern dass die Zentren und Orte des Glaubens öffentlich und sichtbar sind. Und dass sie darüber hinaus selbst auch Symbol sind, wofür sie stehen. Das ist gerade auch mit der zunehmenden Säkularisierung wichtig, da diese Gebäude selbst Teil einer missionarischen Kirche werden können, die allein durch ihr Dasein Zeugnis ablegen als Vergewisserung für die eigenen Mitglieder und als Glaubenssymbol und vielleicht auch als Anreiz für die nicht- bzw. andersglaubenden Menschen, mehr von dieser Gemeinschaft zu erfahren. Sie sind nicht nur ein Fenster zur Gesellschaft, sondern selbst auch Teil des Dialogs nach innen und nach außen. Sie sind damit eine Lebensäußerung der Kirche, wie die diakonischen oder die gemeinschaftsbildenden Aktivitäten.
Kirchengebäude heute haben deshalb hohen Anforderungen zu entsprechen. Sie müssen zentrale Glaubensanliegen der Kirche zum Ausdruck bringen. Form und Gestaltung dürfen den Inhalten nicht widersprechen, weil sonst die Glaubwürdigkeit leidet. Sie müssen dem Anspruch einer allgemeinen Verständlichkeit, auch wenn das vielleicht oft mehr ein Ahnen und ein Fühlen als ein Wissen ist, genügen. Am nächsten kommt dieser Forderung immer noch die Kunst, das heißt, Kirchen haben einer künstlerischen Gestaltung zu entsprechen. Sie werden nicht nur geschmückt mit Bildern oder anderen liturgischen oder künstlerischen Gegenständen, sie werden gleichsam selbst zum Bild. Und das eben nicht nur aus architektonischen und kulturellen Vorgaben, die selbstverständlich ihre Berechtigung und ihre Bedeutung haben, sondern aus kirchlichen und theologischen Gründen.
Wenn das Kirchengebäude Wahr- und Wahrheitszeichen ist für die Liebe Gottes zu den Menschen, für das Miteinander in unserer Gesellschaft, für die Würde aller Menschen, für Liebe und Vergebung als sinnstiftende Grundpfeiler gelingenden Lebens, dann ist jeder Einsatz und Aufwand für den Bau von Kirchen auch heute noch gerechtfertigt. Ja, dann widerspricht es dem Auftrag, missionarische Kirche zu sein, wenn derartige Chancen nicht genutzt werden.
Der Bau von Kirchen ist heute ein Abenteuer. Bindende Vorgaben gibt es für die evangelische Tradition nicht, weder in der Bibel noch in der Geschichte. Die Kirchenburgen der Romantik, die gotischen Kathedralen mit den Spitz nach oben zeigenden Türmen, die machtbewussten, sinnenfreudigen Barockkirchen, haben ihre Zeit geprägt, wurden und werden immer wieder nach gemacht, aber sie haben auch ihre Zeit gehabt.
Den Kirchenbau der letzten Jahrzehnte prägt sowohl von der Form als auch von den Materialien her die Vielfalt. Vom runden Zentralbau, von manchen als die typische Kirchenform bezeichnet, über den quadratischen Würfel bis hin zum ellipsenförmigen Kirchenschiff sind die verschiedenen geometrischen Formen als Grundlage zu finden, ohne dass eine bestimmte Form Anspruch auf Alleingültigkeit erheben kann.
Vielfach sind für die Gestalt der Kirche Größe und Beschaffenheit des vorhandenen Grundstücks ebenso mitbestimmend wie theologische Überlegungen. Das hat auch seine Berechtigung. Weil ja auch der Ort, das Umfeld, das Gebäude und der Inhalt, für den die Kirche steht, eine aufeinander bezogene Größen sein müssen.
Vom missionarischen Anspruch her erscheint mir wichtig zu sein, dass Kirchen wieder im Zentrum bzw. im Bereich des Lebensmittelpunktes der Menschen errichtet werden und nicht in den Randbereichen der Städte und Dörfer. Und dass sie als diese besonderen alternativen Bauwerke, die über Raum und Zeit hinausweisen und neben der materiellen Dimension unseres Lebens auch auf die immaterielle Seite verweisen, ebenso sichtbar und erkennbar sind wie die übrigen die Stadt prägenden Bauwerke der Banken, Versicherungen und Kaufhäuser. Das ist nicht nur für die Kirche und ihr Selbstverständnis wichtig, sondern auch für das Ganze der Gesellschaft, um diese lebensnotwendige Dimension menschlichen Lebens nicht aus dem Blickfeld verschwinden zu lassen.
Beides, das Bauen außerhalb der Zentren und das von außen nicht oder durch ein an der Fassade angebrachtes Kreuz nur schwer als Kirche erkennbare Gebäude, kam vor allem in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts immer wieder vor. Kostengründe oder falsche Bescheidenheit mögen dafür mitbestimmend gewesen sein. Ich setze dagegen die These: Je sichtbarer, desto evangeliumsgemäßer.
Die Kirche der Frohen Botschaft in Waidhofen an der Thaya
Die Kirche der Frohen Botschaft steht in Waidhofen an der Thaya im niederösterreichischen Waldviertel, einer Predigtstation der Evangelischen Pfarrgemeinde Gmünd. Die Pfarrgemeinde gehört zu den flächenmäßig großen, aber zahlenmäßig kleinen evangelischen Pfarrgemeinden in Niederösterreich. Sie umfasst das Gebiet der politischen Bezirke Gmünd und Waidhofen an der Thaya. Neben der Friedenskirche in Gmünd, eingeweiht im Jahr 1911, gibt es die Versöhnungskirche in Heidenreichstein, fertig gestellt im Jahr 1908. Im Jahr 1923 wurde in Waidhofen an der Thaya von der Pfarrgemeinde der sogenannte Lindenhof, der alte Bahnhof, erworben, der seit dem Jahr 1940 regelmäßige Gottesdienststätte war. Predigtstellen gibt es darüber hinaus in Nagelberg, Groß Siegharts und Litschau.
Nachdem der Lindenhof stark renovierungsbedürftig geworden war, hat die Gemeinde im Jahr 1997 beschlossen, das Gebäude abzureißen und an dessen Stelle eine neue Kirche zu errichten. Das ursprüngliche Vorhaben, eine Fertigteilkirche aus Holz zu bauen, konnte aus innergemeindlichen Gründen nicht verwirklicht werden. Der Plan eines Kirchenneubaus verzögerte sich und wurde erst wieder aktuell durch die Kontakte mit dem in Schrems wirkenden aus Griechenland stammenden Architekten und Künstler Prof. Efthymios „Makis“ Warlamis.
Warlamis war und ist für die evangelische Gemeinde ein besonderes Geschenk. Er selbst ist griechisch-orthodoxer Christ, tief verankert in seiner Glaubenstradition. In seiner Kunst geht es Warlamis einerseits um die Wirklichkeit des Lebens, andererseits aber auch um die über diese weltliche Wirklichkeit hinausragende andere Dimension der Welt. Er verbindet beides und holt damit symbolisch das Transzendente herein in unsere Zeit, aber nicht als eine Art Hokuspokus, sondern als existentielle Grundlage für das Leben der Menschen.
Prof. Warlamis ist ein religiöser Künstler in der tiefen Bedeutung dieses Wortes. Weil er von den Wurzeln her kommt und zu diesen hinführen will. Über die Bedeutung der Werke hinaus, die für jeden einzelnen Menschen jeweils zu ersehen, zu erforschen oder zu erahnen, ist, ist sein Kunstschaffen auch ein Beitrag zum Dialog zwischen Kirche und Kunst.
Der Künstler führt die alte und vom Wesen der Kunst und der Kirche her zusammengehörende Tradition des Dialogs zwischen Kirche und Kunst weiter, die sich in den letzten Jahrhunderten zum Schaden beider auseinander entwickelt hat, ja sogar zum Gegeneinander geworden ist. Kirche und Kunst haben bei aller Eigenständigkeit ein grundsätzliches gemeinsames Anliegen, die Interpretation des Lebens. Der Kirchenbau war für Prof. Warlamis auch eine Gelegenheit, das an einem konkreten Beispiel zu verdeutlichen. ahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten, sich zum Schaden beider auseinandergelebt ende Tradition wieder auf, die heute und s
Als Angehöriger der griechisch-orthodoxen Kirche, einer Minderheitskirche in Österreich, deren öffentliche Religionsausübung auch durch das Toleranzpatent Kaiser Joseph II im Jahr 1781 möglich geworden war, hatte Warlamis von Anfang an einen offenen Zugang zur Geschichte der Evangelischen in Österreich.
Wichtig war für ihn das Gespräch mit den evangelischen Christen, um die Glaubensinhalte und die Anforderungen zu kennen, Gemeinsamkeiten auszudrücken und künstlerisch darzustellen.
Die Kirche der Frohen Botschaft beschreibt Warlamis selbst als Realität und Vision zugleich, die voll von Geheimnissen ist. Ein Gotteshaus soll nicht nur Menschen gefallen. „Dieses Gotteshaus möchte auch Gott gefallen und gleichzeitig unsere Dankbarkeit sichtbar machen“, betont Warlamis und sagt zu seinem Konzept: „Eine Kirche zu planen, zu gestalten, ist für einen Architekten eine der größten Herausforderungen, denn die Planung einer Kirche ist in erster Linie ein Akt des Glaubens und nicht ein Akt der Architektur oder eines intellektuellen Entwurfs.“
Gebaut ist die Kirche für Menschen jeglichen Alters, gewidmet in besonderer Weise den Kindern dieser Welt, auch in dem Sinn, dass Menschen immer die Kinder Gottes sind und bleiben.
Im Zentrum des Kirchengebäudes befindet sich der runde Zentralraum mit Altartisch, Kanzel und Taufbecken. Um den Kirchenraum herum sind auf der Rückseite im Außenbereich Arkaden angebracht, die mit Bänken zum gemütlichen Verweilen einladen, und im vorderen und seitlichen Bereich innen die Nebenräume, wie Besprechungszimmer, Küche, Sanitärräume, Gänge und Kinderkapelle. Die Räume sind offen und lichtdurchflutet, sie gehen fließend ineinander über. Im Kirchenraum wollen die einen Meter dicken Mauern Geborgenheit vermitteln, sie ermöglichen zudem tiefer Nischen, die das besondere des Raumes unterstreichen. In der Mitte des Hauptraumes oben befindet sich eine große Lichtkuppel, gleichsam die Verbindung des Sonnenlichts zur Kirche und von der Kirche in den Himmel.
Im blütenförmigen Kelchturm, der an die Bedeutung des Empfangs des Abendmahls mit Brot und Wein in der Evangelischen Kirche erinnert, ist die Kinderkirche untergebracht, ein kleiner Raum mit großer Ausstrahlung. Er lädt durch seine architektonische Konzeption und bauliche Gestaltung nicht nur Kinder zum Verweilen ein. Er vermittelt Geborgenheit und Ruhe. Und er regt an zum Meditieren oder einfach zum Wohlfühlen.
An der zur Hauptstraße gelegenen Seite der Kirche dominiert eine freundlich und hell gestaltete Mauer, die einerseits Blickfang sein will und andererseits auch den zentralen Kirchenraum schützt.
Altartisch, Kanzel und Taufbecken wurden ebenfalls von Makis Warlamis gestaltet. Sie zeigen in verschiedenen Variationen das Kreuz, wobei der ovale Tisch die Rundform der Kirche aufnimmt, die Kanzel ein Buch nachempfindet und der Deckel des Taufbeckens mit konzentrischen Kreisen die Wellen des Wassers darstellt.
Warlamis hat nicht nur die Entwürfe der Kirche der Pfarrgemeinde geschenkt, sondern mit seinem Team auch kostenlos die Bauaufsicht übernommen und durch verschiedene Aktivitäten wie öffentliche Malaktionen am Hauptplatz in Waidhofen an der Thaya die Errichtung mitfinanziert.
Seit ihrer Fertigstellung – die Kirche wurde nach einer Bauzeit von Juli 2003 bis Oktober 2004 am 30. Oktober 2004 eingeweiht – besuchen Menschen aus ganz Österreich und darüber hinaus die Kirche. Gemeindeausflüge, Urlaube in dieser Region oder Tagungen werden genutzt, um diese Kirche, die weltweit in Publikationen Beachtung findet, zu besichtigen.
Die Besonderheit des Raumes wird dabei immer wieder erlebt, auch wenn das im einzelnen nicht immer verbalisiert werden kann. Von ganz besonderer Bedeutung ist auch, dass sich der Gottesdienstbesuch in der Gemeinde mit der neuen Kirche nachhaltig verbessert hat. Er ist um das Dreifache gegenüber früher gestiegen und hält dieses Niveau nun immerhin schon mehr als sechs Jahre.
Gestiegen sind auch das Engagement der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Zahl der Aktivitäten, die neben den geistlichen Angeboten auch Ausstellungen, Konzerte, Lesungen und die Teilnahme an Aktionen wie der „Langen Nacht der Kirchen“ umfassen und von der ganzen Bevölkerung gut angenommen werden.
Die Kirche in einem Gebiet der massiven Gegenreformation im 17. Jahrhundert weist von einer bedrängten Vergangenheit in eine Zukunft des Miteinanders, von einem schroffen Gegeneinander in eine Zeit des Dialogs und der Verständigung. Diese Erkenntnis, dass im Miteinander das Zeugnis glaubwürdiger gelebt werden kann und im Ganzen immer mehr vorhanden ist als in den einzelnen Teilen, hat Makis Warlamis zu einer besonderen symbolischen Handlung inspiriert. Bei der Grundsteinlegung hat er drei Elemente eingemauert: Ein Stück Stephansdom aus seiner persönlichen Sammlung, ein Originalstein aus Jerusalem und ein gläsernes Brot, ein Geschenk des ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I.
Die Martin Luther Kirche in Hainburg an der Donau
Die Martin Luther-Kirche wurde im Zentrum der historischen Stadt Hainburg an der Donau errichtet. Auf diesem Grundstück befand sich vom 13. bis zum 17. Jahrhundert die Martinskirche. Hainburg liegt im Osten Niederösterreichs, nahe der slowakischen Hauptstadt Bratislava, und ist eine Predigtstation der Evangelischen Pfarrgemeinde Bruck an der Leitha-Hainburg an der Donau. Sitz des Pfarramtes der rund 1600 Mitglieder zählenden Pfarrgemeinde ist Bruck an der Leitha.
Neben der Matthäuskirche in Bruck an der Leitha hatte die Predigtstation Hainburg seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine Villa im Besitz, in der eine Etage als Gottesdienstraum eingerichtet war, dem die Bezeichnung „Martin Luther-Kirche“ gegeben wurde. Predigtstellen gibt es darüber hinaus in Götzendorf, Mannersdorf am Leithagebirge und Sommerein.
Im Umfeld der Stadt Hainburg leben ca. 500 Evangelische. Nachdem die Bausubstanz der als Kirche genützten Villa mit den Jahren immer schlechter wurde und die Renovierungskosten sehr hoch gewesen wären, haben sich die Verantwortlichen der Pfarrgemeinde für den Verkauf des Hauses, den Ankauf eines Grundstückes und den Neubau einer Kirche entschieden.
Im Jahr 2007 wurde die Villa verkauft, im Jahr 2008 von der Stadt Hainburg das Grundstück in der Alten Poststraße im Ausmaß von 420 m2 erworben. Ort und Situierung des Grundstückes stellten von ihrer Geschichte und von ihrem derzeitigen Umfeld her besondere architektonische Anforderungen dar.
Nach verschiedenen Entwürfen hat sich die Pfarrgemeinde für den Entwurf von Prof. Wolf D. Prix von COOP HIMMELB(L)AU entschieden. Für den weltweit tätigen Architekten, der zu den international anerkanntesten und kreativsten Baukünstlern gehört, war sowohl der Bau einer Kirche an sich als auch Hainburg als Bauort eine reizvolle Herausforderung, da Hainburg seine Heimatstadt ist. Für den Architekten, der unter anderem die BMW Welt in München, das Gebäude der Europäischen Zentralbank in Frankfurt oder ein 120.000 m2 großes internationales Konferenzzentrum in Dalian in China gebaut hat bzw. baut, war es der erste Bau in seiner Heimatstadt und auch der erste Kirchenbau.
Die Martin Luther-Kirche besteht aus einem Gottesdienstraum, einem Gemeindesaal, einem Glockenturm sowie weiteren Büro- bzw. Nutzräumen. Der Kirchenbau ist formal an die Höhenentwicklung der unmittelbaren Umgebung angelehnt. Dach und Glockenturm variieren die Formensprache des in der Nähe stehenden romanischen Karners der ehemaligen Martinskirche.
Die eigenwillige Geometrie zeigt eine spirituelle Symbolik, wie beim Gottesdienstraum, dessen Form sich von einem riesigen Tisch herleitet. Der Kirchenraum selbst unterstreicht damit eines der Hauptthemen evangelischen Gottesdienstes, die um den Abendmahlstisch versammelte Gemeinde. Drei große Lichteinlassöffnungen sind in die Dachkonstruktion eingebaut, die auf den vier Stahlbetonsäulen ruht, den Beinen des „Tisches“. Die Innenseite des Daches des Kirchenraums nimmt die Rundungen und Schwingungen der Lichteinlassöffnungen auf und lässt damit im Raum den Himmel mit seinen Wolken ahnen.
Wolf D. Prix hat beim Entwerfen des Kirchendachs besonderes Augenmerk auf die atmosphärische Beleuchtung des Innenraums gelegt. Für die Kirche steht jede Lichteinlassöffnung für eine Person Gottes und ist so Zeichen der Trinität des christlichen Gottes.
Bei der Präsentation des Modells hat der Architekt beim Hinweis auf die Trinität Gottes erklärt, er habe beim Entwurf dieser besonderen Dachkonstruktion zwar nicht an die Trinität gedacht, aber auch in der Architektur würde die Dreiheit eine besondere Rolle spielen. So werde ein Gebäude, wenn es besonders stabil stehen soll, nicht auf zwei oder vier, sondern auf drei Beine gestellt.
Sehr offen wirkt die Kirche auf der Seite der Hauptstraße. Dort lädt ihre gefaltete, vor- und zurückspringende Glasfassade den Besucher in den hohen Gottesdienstraum ein. Seine Intimität gegenüber der Straße wahrt der Sakralraum durch eine Wand aus Holz, die frei unmittelbar hinter der Glasfassade steht. Ein erleuchtetes Kreuz, als lichtdurchlässige Aussparung in dieser Wand, projiziert die Botschaft der Kirche in die Stadt.
An den Gottesdienstraum schließt die von Tageslicht durchflutete, glasgedeckte Kinderzone und Taufkapelle an. Dahinter liegt der Gemeindesaal. Die beiden Haupträume können zu einem Raum verbunden werden, indem die über die gesamte Breite reichenden Falttüren geöffnet werden.
Der dritte Bauteil, ein lang gestreckter Block an einer kleineren Nebenstraße, flankiert die beiden Haupträume und beinhaltet die Sakristei, das Büro, eine kleine Küche und andere Nebenräume. Eine behindertengerechte Rampe führt zwischen den drei Bauteilen in den etwas höher gelegenen Gemeindegarten.
Der skulpturartige Glockenturm auf dem Vorplatz bildet das vierte Element des Gebäudeensembles. Der Turm aus Stahl nimmt die Formensprache des Karners auf, aber nicht im einfachen Nachmachen oder Wiedergeben, sondern im kreativen Weiterentwickeln. Oberhalb der Öffnung für die Glocke ist auf jeder Seite des Turmes erhaben ein Kreuz angebracht.
Altar und Kanzel nehmen Elemente des Kirchenraumes auf. So spiegelt der Altar die trinitarischen Lichteinlassöffnungen. Die große Öffnung im unteren Teil symbolisiert das leere Grab und stellt damit zusammen mit dem dahinterstehenden Kreuz der Holzwand die christlichen Hauptthemen Kreuzigung und Auferstehung dar. Beachtenswert ist auch besonders die mit diesem Altar geschaffene neue Form des Kanzelaltars, in der sich Kanzel und Altar deutlich getrennt in einer Ebene befinden.
Nach dem Spatenstich im Juni 2010, wurde im September 2010 mit dem Bau der Kirche begonnen, der in nur achtmonatiger Bauzeit fertig gestellt werden konnte.
Der Termin der Einweihung mit 30. April 2011 ist nicht zufällig gewählt. Vor genau 1700 Jahren, am 30. April 311, wurde das erste Mal im Edikt von Nikomedia durch Kaiser Galerius die Duldung der Christen im damaligen römischen Reich ausgesprochen. Nicht unwesentliche Vorgespräche dafür dürfte es auch auf der sogenannten Kaiserkonferenz in Carnuntum im Jahr 308 gegeben haben. Nikomedia ist heute die türkische Stadt Izmit. Damit ist bereits vor dem Jahr 313 und dem Edikt von Mailand durch Konstantin geduldete Religionsausübung der Christen möglich gewesen
Die Evangelische Kirche in Hainburg stellt sich mit dem Datum der Einweihung bewusst in diese Tradition, will ein Zeichen der christlichen Tradition sein, und zugleich ein Symbol des Miteinanders, der Toleranz und der Versöhnung.
Mit ihrem Namen „Martin Luther-Kirche“ erinnert die neue Kirche nicht nur an den Reformator, sondern auch an den bisher verwendeten evangelischen Kirchenraum in Hainburg. Der Vorname nimmt zugleich die Tradition der Martinskirche auf, die einige Jahrhunderte auf dem Grundstück im Zentrum der Stadt Hainburg an der Donau Pfarrkirche gewesen ist. Die Kirche symbolisiert so Vergangenheit und Zukunft und bereichert damit die Gegenwart.
Begleitet wurde die Entscheidung und die Ausführung des Kirchenbaus von großem Interesse durch die evangelische Gemeinde, aber auch durch die Öffentlichkeit weit über die Region hinaus. So ist über die Kirche in Medien auf der ganzen Welt berichtet worden, das Modell der Kirche war sogar bei einer Ausstellung in Tokio als eine der 50 derzeit interessantesten Bauten der Welt zu sehen.
Die neue Kirche in Hainburg wird in besonderer Weise auch die Nähe zur slowakischen Hauptstadt Bratislava aufgreifen und grenzüberschreitende Projekte im Bereich der Jugendarbeit und der Kultur anbieten.
Plädoyer für den Kirchenbau heute
Gerade in einer Zeit, in der Christsein und Glaube nicht mehr selbstverständlich sind, werden Kirchen als Zeugen und Zeichen der Erfahrungen Gottes in dieser Welt wieder wichtiger. Ihre Aufgabe heute ist nicht die Demonstration von Macht und Prunk, nicht abgehobene heile Welt im Gegensatz zur bösen Wirklichkeit. Aber sie dokumentieren, dass alle materiellen Dimensionen noch nicht das ganze des Lebens darstellen. Sie sind Ort der Stille und der Besinnung, Ort des Lobens und Dankens, Ort der Begegnung mit Gott, für die Gemeinschaft, aber auch für einzelne, und Orte der Begegnung der Menschen miteinander.
Unabhängig vor der kirchlichen oder religiösen Bindung ist die Frage nach dem Selbstverständnis und dem Weltverständnis des Menschen bleibend aktuell. Ohne eine zumindest ansatzweise versuchte Beantwortung der Frage, was den Menschen zum Menschen macht, fehlen auch ethische Maßstäbe, um die Auswirkungen vom Reden und Tun bzw. der gesellschaftlichen Veränderungen auf den einzelnen Menschen und auf die Gesellschaft zu beurteilen. Dass unser Leben einen Anfang und ein Ziel hat, ist keine Erkenntnis, die im Menschen selber liegt. Dass Menschen vor- und füreinander Verantwortung haben und im Respekt vor der Schöpfung und damit auch vor dem Schöpfer leben und handeln, kann nur im Bedenken der ganzen Dimension des Seins erfasst werden.
Wo immer eine Kirche steht, und wo immer Christen sind, so wie in Waidhofen an der Thaya oder in Hainburg und an vielen anderen Orten, dokumentieren sie und machen sie sichtbar, hier sind Menschen, die über das Woher und Wohin ihres Lebens nachdenken. Hier sind Menschen, die Verantwortung wahrnehmen in ihrer Gemeinschaft und in der Gesellschaft. Hier sind Menschen, die Signale für mehr Menschlichkeit, für mehr Verstehen, für mehr Gerechtigkeit und mehr Frieden setzen. Hier sind Menschen, die auch bereit sind, andere auf der Suche nach dem Sinn des Lebens zu begleiten.
Der Kirchenbau hat deshalb nicht nur für die konkrete Kirchengemeinschaft, die ihn errichtet hat und ihn erhält, eine große Bedeutung, sondern für die Gesellschaft insgesamt. Sein Wert reicht auch weit über die kulturelle Bedeutung hinaus als ein Beitrag zur Gestaltung des Lebens und eines verantwortlichen Miteinanders der Menschen.
Die innere Orientierung des Kirchengebäudes ist in allen Kirchen auf den Gottesdienst ausgerichtet, immer in der zweifachen Bedeutung des Wortes als Gottes Dienst an uns Menschen und unser Dienst an Gott. Ihre erste und vornehmste Aufgabe haben die Kirchen als Orte der Begegnung mit Gott in Wort und Sakrament. Darum unterscheiden sie sich von profanen Bauten. Diese Begegnung mit Gott führt aber auch zu einem anderen, einem freundlichen und respektvollen Umgang miteinander, sodass die Kirchen auch festlicher Raum der Gemeinschaft selbst sind. Wenn Kirchen diese Spannung von Gotteshaus und Menschenheim durchhalten, sind sie nicht nur architektonisch, sondern auch theologisch gelungen.
Auch für den Menschen heute ist ein Raum der Begegnung mit Gott, der sich von der Hektik und der Banalität des Alltags, aber auch von Konsum und Kommerz unterscheidet, wichtig. Dabei geht es nicht prinzipiell – außer in Fällen des Missbrauchs – um ein Gegeneinander, sondern um eine notwendige Ergänzung.
Entgegen der in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vielfach geäußerten Meinung, finanzielle Mittel sollten lieber in soziale Projekte fließen, hat sich gezeigt, dass Kirchenbau und soziale Verantwortung keine Alternative sind, sondern sich gegenseitig stützen und motivieren. Ein gelungener Kirchenraum, der die beiden Dimensionen des Lebens verbindet, kann nicht nur mithelfen, dem bei allen Menschen vorhandenen religiösen Bedürfnis nachzugehen, und es im Idealfall auch zu befriedigen, er führt auch zu mehr Verantwortung in der Welt, das heißt zu konkreten auch mit finanziellem Einsatz verbundenen Aktionen für mehr Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.
Kirchen müssen öffentlich und sichtbar sein
Besondere Bedeutung kommt bei den Überlegungen des Kirchenbaus auch den lebensbegleitenden Ritualen zu, eine der ganz wichtigen Aufgaben der Kirchen. In diesem Bereich ist quer durch alle Altersschichten der Gemeinden die größte Nutzung des kirchlichen Angebots gegeben. Dazu kommt, dass die Bindung zur Kirche bei vielen Menschen sehr stark über kasuelle Ereignisse und Erfahrungen erfolgt, wobei sich diese Bindung sehr stark über die Person des Pfarrers oder der Pfarrerin, aber in vielen Fällen auch über den Kirchenraum definiert. Von daher ist auch verständlich, dass Änderungen des Kirchenraums oder gar ein Abriss und Neubau einer Kirche von vielen Menschen, auch wenn sie nur losen Kontakt zur Gemeinde haben, sehr emotional gesehen und begleitet wird.
Gerade diese Feiern sind oft für Menschen ein Anlass, wieder einmal oder sogar auch erstmals eine Kirche zu betreten. Für den Kirchenbau heute bedeutet das, die Feiern von Taufen, Konfirmationen, Trauungen oder anderen lebensbegleitenden Handlungen bei der Planung intensiv mit zu berücksichtigen. Neben dem angemessenen Ort für die Verkündigung oder die Feier des Abendmahls sind auch einladende Orte der Begegnung für die Kommunikation und das Gespräch miteinander einzuplanen. Freilich muss dem einladenden Kirchenraum auch die offene und kommunikative Gemeinde entsprechen, um überzeugend sein zu können.
Empirische Untersuchungen bestätigen das auch von der Seite der Kirchenmitglieder her. Von den Menschen werden vorrangig drei Erwartungen an das Handeln der Kirche genannt: Es handelt sich erstens um die Begleitung der Menschen an den Wendepunkten des Lebens. Unter den kirchlichen Amtshandlungen findet dabei die Taufe mit weitem Abstand das größte Interesse. Es geht sodann um die Zuwendung zu Menschen in persönlichen oder sozialen Notlagen: die Betreuung von Alten, Kranken und Behinderten sowie die Anwaltschaft für Menschen in Not. Und es geht schließlich um einen Raum für das Heilige: Gemeint ist damit die Aufgabe, die christliche Botschaft zu verkündigen, Gottesdienste zu feiern und Raum für Gebet, Stille und Meditation zu bieten.
Das besondere des Kirchenbaus heute ist, dass eine multifunktionale Ausrichtung zwar sehr hilfreich ist, Kirche aber Kirche bleiben kann und soll und nicht zu einem Multifunktionsraum wird, der allen alles sein will und letztlich für jeden zu wenig bietet.
Missionarische Kirche zu sein heißt, öffentliche Kirche zu sein, die ein Angebot hat, das zum Leben hilft. Und das auch mit allen Mitteln hörbar und sichtbar macht. Im Zentrum steht die Verkündigung des Evangeliums, es geht immer um Gott und um sein Geheimnis, das Raum bekommen muss in den Gemeinden, symbolisch und ganz gegenständlich gemeint. Im Hören des Wortes und im Feiern der Liturgie verdichtet sich das Geheimnis Gottes und wird die Begegnung mit seinem Geheimnis möglich. Vor allem darum kommt dem Kirchenbau diese Bedeutung zu.
Im Bereich der Evangelischen Kirche haben manche eine Scheu vor den Begriffen „heilig“ und „profan“. Der Schweizer Theologe Eduard Schweizer hat dazu gesagt: „Nichts ist im Neuen Testament heilig im Gegensatz zu einem profanen Bezirk bzw. besser gesagt, alles ist heilig, nichts ist mehr profan, weil Gott die Welt gehört und weil die Welt der Ort ist, an dem man Gott preisen und Gott Dank erweisen soll“.
Stimmige Kirchen sind in dieser Welt dafür auch heute noch sehr gut geeignete Orte.
Paul Weiland
Superintendent der Evangelischen Kirche in Niederösterreich
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