Grenzüberschreitungen
Gestern – Freitag – nach 18 Uhr rief mich ein Mann auf der Festnetznummer meiner Praxis an, meldete sich mit „Bernhard“ – sagte mir trotz meiner Nachfrage nicht seinen vollen Namen – und fiel folgendermaßen mit der Tür ins Haus: „San Se de Sexualberaterin?“ Ich: „Nein – ich bin Psychoanalytikerin und Juristin. Was wollen Sie von mir?“ Er, mit undeutlicher Aussprache (oder ich altersbedingt bereits etwas schwerhörig) sagt irgendetwas, er wolle mit mir darüber reden, ob die Sexualität heutzutage immer mehr eingeschränkt werde. Ich darauf: Wenn er etwas Ernsthaftes mit mir besprechen wollte, müsse er sich einen Termin holen und mich bezahlen (ist ja mein Beruf), aber: Ich sei 78 Jahre alt, derzeit in Covid-Quarantäne – und an Gesprächen mit „anlassigen Männern“ nicht interessiert. Er darauf: „Danke – ich habs verstanden.“ Und legt auf. Das hat mir gefallen.
Er hätte ja auch aggressiv oder beleidigt reagieren können – so wie manche Frauen (jünger als ich), die mich, kaum habe ich ihre Freundschaftsanfrage auf Facebook bestätigt, per Messenger mit inhaltleeren Botschaften (Blumen- oder Tierfotos) zu beglücken „wagen“ – und noch dazu per Du. Oder mich in Verkennung der sozialen Unterschiede „in ihrem Netzwerk“ willkommen heißen […]