Mythos Quantität

„Sollen Menschen, die sich in Umweltverfahren engagieren, zwangsweise vor den Behörden ,geoutet‘ werden?“, fragt Andreas Koller in den Salzburger Nachrichten vom 5. Oktober 2018 (Seite 2), nachdem bekannt wurde,  dass künftig Umweltorganisationen nur mehr Parteien- und Beteiligtenstellung in Umweltsverträglichkeitsprüfungsverfahren besitzen sollen, wenn sie über 100 Mitglieder haben, und außerdem deren Namen und Adressen offengelegt werden sollen. Dass dies den neuen Datenschutzrichtlinien widerspricht, werden wohl alle erkannt haben, die personenbezogene Daten „verwalten“ (d. h. in ein geordnetes System gebracht haben). Dagegen protestiert haben bereits Berufenere als ich.

Was mich daran stört – und worin ich eine Form von struktureller Gewalt erblicke – ist die Vorschreibung einer Quantität von Mitgliedern. Das bedeutet nämlich im Umkehrschluss, dass einer Organisation, die aus einer Minderzahl von Experten, sagen wir etwa fünf Biologen, gebildet wurde, die Mitsprache schlicht verweigert wird, hingegen eine Hundertschaft von Bergsteigern die Kompetenz zugesprochen wird (wobei in dieser vermutlich auch nur fünf Experten das fachlich fundierte Sagen hätten – nur „Meinungen“ haben viele, wie dieses Wort ja schon vom Ursprung her aufdeckt).

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SelbstbeHERRschung

Über 3.600 nachgewiesen missbrauchte Kinder und Jugendliche (die meisten unter 14 Jahren) bei über 1.600 Klerikern (ohne geschätzte Dunkelziffern), das ist die erschütternde Anzahl von sexuellen Übergriffen, die eine neue Studie im Auftrag der deutschen Bischofskonferenz zu Tage brachte. Von den Forschern wurde dabei eingemahnt, dass die Thematik weiter bearbeitet gehöre – vor allem seien die kirchlichen Machtstrukturen, die Verpflichtung zur Ehelosigkeit wie auch der problematische Behandlung von Sexualität und besonders Homosexualität in der Kirche zu hinterfragen. (https://www.abendblatt.de/politik/article215410889/Katholische-Kirche-stellt-Studie-zu-sexuellem-Missbrauch-vor.html)

Dass in straffen Hierarchien viele Filter das Aufsteigen von beschämenden Informationen aus dem Untergrund in die Höhen interner oder externen Öffentlichkeit be- bzw. verhindern, betrifft allerdings nicht bloß die „Institution“ Kirche – das fängt schon in der „Institution“ Familie an. Deswegen braucht es ja Orte des Vertrauens, wo man sich furchtlos äußern kann. Genau diesen Ort stellt die katholische Männerkirche nicht dar – dabei wäre jeder Ort der Seelsorge (im weitesten Sinn) die richtige erste Zuflucht – wie auch Arzt- oder Psychotherapie-Praxen, Beratungsstellen und viele andere Gewaltschutzeinrichtungen. Nur: Auch dort können Wölfe im Schafspelz sitzen. Oder anders formuliert: Männer, die ihre (sexuelle) Männlichkeit nicht kontrollieren (können oder wollen).

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Diagnosefehler

Mit großem Interesse habe ich die ORF-Berichterstattung vom niederösterreichischen SPÖ-Parteitag in Schwechat verfolgt – und war entsetzt. Da rief doch die designierte Parteivorsitzende und damit auch Oppositionsführerin Dr. med. Pamela Rendi-Wagner eine Kampfansage ins Publikum und nannte dabei die derzeitige Regierung „asozial“.

Damit kein Missverständnis entsteht: Mir ist klar, dass einige Regierungs-Vorhaben nicht dem entspricht, was die SPÖ als sozial bezeichnet wissen will – trägt sie doch das programmatische Wort in ihrem Namen: „sozial-demokratische“ Partei. (In der Zeit, als ich Mandatarin der SPÖ war, hieß sie noch „sozialistische“ Partei Österreichs.) Auch die Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (NSDAP) beanspruchte diese Bezeichnung für sich. Allerdings besteht ein Unterschied, wenn einem Begriff die Endsilbe „-istisch“ angefügt wird: Dann will man auf eine Steigerung, Übertreibung oder Verzerrung hinweisen. Biologisch ist beispielsweise etwas anderes als biologistisch. Und auch zwischen human und humanistisch besteht solch eine Differenzierung.

Wenn sich daher eine Partei beispielsweise als christlich-sozial bezeichnet, ist das eine andere Selbstdarstellung als würde sie sich christlich-sozialistisch nennen … und dann kann man überprüfen, wie weit ihre Programme und Handlungen der christlichen Soziallehre entsprechen. Das setzt allerdings einen Dialog voraus (der dringlich und sinnvoll wäre) – nicht aber einseitige Etikettierungen.

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Weiblichkeit ablegen?

„Der Preis für Macht und Autorität ist das Ablegen von Weiblichkeit“, wird die Politikforscherin Kathrin Stainer-Hämmerle im Kurier vom 25.09.2018, Seite 2, zitiert, und: „Dass eine Frau in einem Kleid auf der Bühne steht und ruft ,Alle mir nach!‘ widerspräche den gängigen Vorstellung einer Führungsfigur.“ Diesen Behauptungen widerspreche ich sehr energisch – denn mit genau solchen Sätzen werden Legenden gebaut.

Offensichtlich ist der Forscherin das berühmte Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“ von Eugène Delacroix (1798–1863) nicht im Sinne: Da ist die Freiheit als barbusige Frau dargestellt, die den Männern voran geht. Sie „führt“. Weiblicher geht wohl nicht mehr … und wenn man in dem Buch „Symbole der Macht – Macht der Symbole. Die Französische Revolution und der Entwurf einer politischen Kultur“ der kalifornischen Geschichtsprofessorin Lynn Hunt (* 1945) dazu nachliest, weiß man auch, warum. Hunt schreibt über die vielen Darstellungen der Figur der „Freiheitsgöttin“: „Wie eine Heilige der Gegenreformation stand sie für die Tugenden, die von der neuen Ordnung so sehr herbeigesehnt wurden: die Überwindung von lokaler Beschränktheit, Aberglauben und Partikularismus im Namen eines disziplinierten und universellen Kultes.“ (Seite 82.)

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Selbst-Disqualifizierung

Es war einmal … ein Bundeskanzler, der hielt Stellung trotz Dialyse. Eine Gesundheitsministerin, die führte ihre Geschäfte trotz Chemotherapie. Ein Außenminister, der führte Österreich in die EU trotz schwerster Parkinson-Symptome. Ein Nationalbankpräsident, der lenkte Österreichs Währungspolitik trotz Schlaganfall, Aphasie und Rollstuhl. Menschen mit Verantwortungsgefühl eben.

Es gibt aber auch Menschen, die steigen aus, wenn es für sie nicht mehr stimmt … und wagen sich in eine unsichere Zukunft hinein. Aber sie bestellen vorher ihr Haus. Franz Werfels Novelle vom „Tod des Kleinbürgers“ fällt mir ein, der sein schwindendes Leben hinauszögern will, damit seine Frau in den Genuss seiner Versicherungsprämie kommen kann…

Und dann gibt es Menschen, die schmeißen alles hin, wenn es sie nicht mehr freut […]

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Suggestivkraft

Wie kommt es, dass manche Leute wildfremden Anrufern Geld oder kompromittierende Sexfotos von sich selbst anvertrauen, wurde ich unlängst gefragt. Weil sie es schaffen, ihre Ausbeutungs-Opfer in bestimmte Gefühlszustände zu versetzen, lautete meine Antwort, und: Weil viele Leute „Höflichkeit“ höher wertschätzen als Mißtrauen, Zögerlichkeit oder Widerstand.

Es sind vor allem Personen mit altertümlich klingenden Vornamen, die sich diese Telefongaukler heraussuchen, um ihnen Angst zu machen, ihrem Kind oder Kindeskind drohe eine Anzeige und nur sie als vermeintliche Polizisten könnten dies abwenden. Andere geben sich als Inkassobeauftragte aus und behaupten forsch bei Jüngeren, sie hätten eine offene Rechnung einzutreiben. Oder man hätte ihr Auto beschädigt … oder den Gartenzaun … Es geht immer darum, psychischen Druck auszuüben und das gelingt, wenn man der anderen Person so ungute Gefühle macht, dass sie alles tut, um aus dieser Bedrängnis (strafrechtlich je nach Wortwahl: Nötigung oder Erpressung) herauszukommen […]

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„Les Miserables“ in Staatz – und anderswo …

Das letzte Mal war ich in Staatz glaub ich 1953 – am Schulwandertag in der 3. Klasse Volksschule mussten wir die Ruine erforschen. Und jetzt nach langer Zeit das erste Mal wieder – eingeladen zur Premiere des Musicals, und das erste Mal erlebt, was der Bühnenzauberer Werner Auer ersingt und alles noch dazu erarbeitet – und stolz gewesen im Bewusstsein, was sich in diesen 65 Jahren da entwickelt hat.

Um Entwicklung geht es ja auch in dem Musical nach dem Roman von Victor Hugo, um einen Mann, der wegen des Brot-Diebstahls für ein hungerndes Kind als Strafgefangener verbittert nach Haftverlängerungen wegen Ausbruchsversuchen unentwegt auf „Sträfling“ definiert und abgelehnt wird. Von dem berühmten Soziologen Norbert Elias (1897–1990) stammt der Satz „Gib einer Gruppe einen schlimmen Namen und sie wird ihm folgen“. Genau das passiert Jean Valjean – er wird als Schwerverbrecher definiert […]

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„Törichter alter Mann“

Unter diesem Titel hat Felix Baumgartner (49), laut Wikipedia von Beruf Schlosser und vom Bundesheer als militärisch ungeeignet entlassen, den Bundespräsidenten und Universitätsprofessor Dr. Alexander Van der Bellen (74) sowie den Präsidenten der Europäischen Kommission und studierten Juristen und Rechtsanwalt Jean-Claude Juncker (64) kritisiert. Nein – nicht sachlich. Beim Bundespräsidenten hat er einen intellektuell anspruchsvollen Scherz nicht als solchen erkannt, und beim Kommissionspräsidenten eine medizinische Notlage.

Wen also hat er mir der Überschrift gemeint? Beide? Niemand bestimmten?

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„Kriegen“

Wenn in einer Familie der Vater immer die zwei größten Schnitzel bekommen – „gekriegt“ – hat und plötzlich „gerecht“ mit Frau und Kindern vier gleichgroße bekommen soll, ist nachvollziehbar, dass er sich wehrt. Dieser „Reflex“ ist aus den Tagen der Einführung des partnerschaftlichen Familienrechts und der Gewaltschutzgesetze für Frauen und Kinder bekannt – und tritt leider immer noch auf. Man(n) fühlt sich „benachteiligt“, wenn man(n) „wohlerworbene Rechte“ (oder auch Privilegien) aufgeben soll. Damals, in den 1970er Jahren wurden vor allem Argumente von größerer Arbeitsbelastung der Männer (statt korrekt: in manchen Berufsanforderungen) und Familienerhalterpflichten (die heute viele Frauen tragen, nicht nur Alleinerzieherinnen) vorgebracht […]

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Soldatinnen

Spätestens seit den ideologischen Kämpfen um das Atomkraftwerk Zwentendorf ist in Österreich deutlich geworden, wie man die eigene Position durch Wissenschaftler verstärken kann: Man muss nur suchen, wessen Ansichten zu den eigenen passen und dann muss man diese Person medial als Experten „vermarkten“. Das geht umso leichter, je extremer deren Ansichten sind und sich skandalisieren lassen. Das gelingt am leichtesten, wenn man unterschwellig alte Ängste vor Benachteiligung und Ungerechtigkeit anspricht – und genau die sind es, die meist bereits unbewusst die Themenwahl bedingen. Was mit einem selbst nichts zu tun hat, interessiert einen nicht (besonders). Mir sagte einmal einer meiner psychotherapeutischen Ausbildner, niemand wähle einen Helferberuf, der nicht mindestens einen leidenden Elternteil hatte und unbewusst hoffe, dessen „Geheimnis“ zu verstehen, vielleicht auch zu beseitigen. Ich ergänze mit meiner heutigen Erfahrung aus über 40 Jahren Beratung und Therapie: nicht allein das Leiden einer wichtigen Bezugsperson, sondern vor allem auch eigenes […]

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