rotraud-a-perner_300_foto-felicitas-matern-180x180Rotraud A. Perner

Wozu Religion, wenn es (scheinbar) auch ohne geht?

Am Samstag, 10. September, zeichnete Rudi Klein in seinem wöchentlichen Cartoon „Der Lochgott“ im Standard eine Figur, die wie immer den Unsichtbaren fragt: „Kennt deine Religion etwa auch Heiligsprechungen?“ und aus dem Loch kommt die Antwort: „Sicherlich! Erst unlängst wurde Mutter Emmentaler wegen der barmherzigen Löcher in ihrem Käse heiliggesprochen.“

Das ist natürlich Satire, und sie bezieht sich auf die Heiligsprechung von Mutter Teresa von Kalkutta am 4. September – und diese wird veräppelt – aber gleichzeitig auch das vom Papst ausgerufene „Jahr der Barmherzigkeit“.

Ernsthaft hingegen ist Mutter Teresa posthum kritisiert worden, weil sie nur versucht habe Leid zu lindern, nicht aber die Verursachungen zu bekämpfen oder zumindest zu kritisieren – ein Tabubruch, denn wenn jemand kollektiv hochgelobt wurde, scheuen sich viele, eine abweichende Sichtweise zu äußern.

Protestanten wagen das – deswegen nennt man uns ja auch so.

Es gibt aber auch da umgekehrte Phänomen: Wenn jemand oder etwas abgewertet wird, stimmen dann viele ohne viel Nachdenkens mit ein in die Schmähreden – beispielsweise in das zunehmende Religions-Bashing. Dabei werden Kirche wie auch kirchliche „Funktionäre“, Religion, Glaube, Bekenntnis und Frömmigkeit – alles unterschiedliche Begriffe – ohne tiefere Kenntnis wild durcheinander gewürfelt und in unterschiedlichen Stimmungslagen der Verachtung preisgegeben. Nur Spiritualität wird neuerdings wertgeschätzt – allerdings eher in der Form der fernöstlichen Traditionen. (Weil dies exotisch ist, kann man es ja auch als etwas Besonders quasi Luxus gut „vermarkten“ – und sich dann auch selbst als jemand Besonderer dazu!)

Wenn man die Frage stellt, wozu der Mensch Religion „braucht“, kommt meist als Antwort, um sich ethisch zu verhalten. Durch die Debatten um Ethikunterricht in Schulen wird jedoch gleichzeitig unterschwellig die Ansicht verbreitet, ethisches Verhalten könne man lernen wie Schreiben, Rechnen oder Singen. Das entspricht auch der juristischen Sicht von ethischem Verhalten: man wägt die im konkreten Fall zu bewahrenden aber widersprechenden Güter ab und entscheidet sich für  das – üblicherweise sozial vorgegebene – höherwertige. Das ist ein rein kognitives Vorgehen – Seele braucht man dazu keine.

In 3 Mose 19, 2 spricht der HERR: Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der HERR, euer Gott.

Wie das konkret umzusetzen ist, erläutert Paulus dann im Epheserbrief im 5. Kapitel: es gilt, sich vor allem seelisch rein zu halten.

Wir brauchen Religion um wahrzunehmen, welcher Weg derjenige ist, in dem wir unsere Gottebenbildlichkeit verwirklichen können.

Dazu brauchen wir wie für alles, was wir „können“ wollen, zuerst Wahrnehmungsneurone, sonst können wir nicht unterscheidend erkennen, und wir brauchen Handlungsneurone, um diesen Erkenntnisprozess überhaupt durchführen zu können.

Wir brauchen aber diese Nervenzellen nicht nur, um kognitiv „wahr“ zu nehmen, wir brauchen auch solche um gleichzeitig fühlen, körperlich spüren und das zu Verwirklichende inspiriert ahnen zu können. Das ist das im Sinne unserer Rückbindung an Gott – und Gott ist Liebe – zu Verwirklichende … denn es gibt auch andere Bindungen und sogar Abhängigkeiten: an politische Ideologien, an seinen Fußballklub, an Facebook und Co., an Menschen, die einem nicht gut tun und von denen man sich nicht abzulösen schafft, an Drogen (Alkohol, Nikotin und Kaffee mitgemeint). Wir brauchen Gott in unserem Herzen um „heilig“ von unheiligen Kopien unterscheiden zu können.