Rotraud A. Perner
03-01-2013

NAIKAN und Psychotherapie

 

Der einfacheren Lesbarkeit wegen wurden durchgängig die männlichen Sprachformen gewählt – sie mögen geschlechtsneutral verstanden werden.

Ebenso mögen die generalisierenden Bezeichnungen „westlich“ und „östlich“ nur als Hinweise auf die üblicherweise angegebenen Herkunftsregionen verstanden werden, auch wenn sich ähnliche Grundgedanken und -praktiken in beiden Welthemisphären nachweisen lassen.

 

Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung: Warum diese Arbeit …
  2. Begriffsklärungen
  3. Was ist NAIKAN?
  4. Was ist Psychotherapie?
  5. Die „falschen“ Bräute
  6. Ich mag mich nicht!
  7. Die Vermasselung von Reue
  8. Das Loslassen
  9. Literaturangaben

 

1. Einleitung: Warum diese Arbeit …

Um Missdeutungen vorzubeugen, möchte ich zu Beginn meiner Arbeit meinen Blickwinkel auf das Thema meiner Überlegungen wie auch auf meine persönliche Betroffenheiten offen legen.

Ich habe bereits Mitte der 1990er Jahre einmal Naikan praktiziert, war damals also um die 50 Jahre alt, und hatte als multidisziplinär ausgebildete Psychotherapeutin (Zusatzbezeichnung Psychoanalyse) und Gerichtssachverständige für Kunstfehler in der Psychotherapie großes und kritisches Interesse an allen neu beworbenen „Methoden“.[1] Außerdem war ich angefragt, ob der Einsatz von Naikan in der Justizanstalt Hardtmutgasse im 10. Wiener Gemeindebezirk, in dem ich 1973 – 1987 Bezirksrätin war, und in der mit substanzabhängigen Haftinsassen „Strafheilen“ (® Johannes Ranefeld) praktiziert wurde, empfehlenswert wäre (was ich dann auch befürwortete).

Mich hat Naikan damals sehr beeindruckt, weil es in – im Vergleich zu Psychotherapie – sehr kurzer Zeit tiefe und sanfte emotionale, vor allem aber nachhaltige Reaktionen von psychischer Neuorientierung, Verantwortlichkeit und Dankbarkeit hervorrufen kann. Da ich verabsäumte, mir von Josef Hartl eine Teilnahmebestätigung ausstellen zu lassen, und er, als ich das dann doch tun wollte, verstorben war, sah ich in dem aktuellen Angebot im Rahmen des Theologiestudiums erfreut eine Möglichkeit, dieses Versäumnis zu korrigieren.

Als ich am Einführungstag dieses Thema wählte, lag vor allem am Interesse an einem vermuteten theoretisch-religionswissenschaftlichen Zugang nebst spezifischer Literatur – davon war damals in den 1990er Jahren noch keinerlei Rede gewesen. Dann allerdings erlebte ich im zweiten Nachmittagsblock, dass die Referentin zwar unspezifisch über Unterschiede zur Psychotherapie sprach, sich aber offensichtlich nicht die Mühe gemacht hatte, sich mit dem, was Psychotherapie generell – also nicht nur eine spezifische Schule betreffend – darstellt, zu befassen, sodass ich sie leider – es war mir wirklich unangenehm – einmal korrigieren musste. Das verstärkte mein Engagement, aus Sicht meiner persönlichen gut vierzigjährigen Berufspraxis (was beinhaltet: ohne dogmatischen oder Vollständigkeits-Anspruch) Unterschiede und Gemeinsamkeiten differenzieren zu wollen.

Was mir nämlich im Studium der in der Lehrveranstaltung zur Verfügung gestellten Texte, aber auch meiner eigenen zum Thema passenden Literaturbestände auffiel, sind die Versuche der jeweiligen Autoren, allein die von ihnen erlernten bzw. praktizierten Methoden zu „bewerben“ bzw. zu verteidigen – obwohl beispielsweise der personzentrierte (nicht der klientenzentrierte[2]) Ansatz in der Gesprächspsychotherapie oder jede Systemische Therapie ganz andere Menschenbilder im Auge haben als etwa Psychoanalyse oder Gestaltpsychotherapie, von der sich jener durch besondere Langsamkeit (und den Verzicht auf eine „Krankheits-Lehre“ und „Techniken“), diese hingegen durch Paradoxien und Humor (und „Hausaufgaben“) auszeichnet.

Will man also Naikan mit Psychotherapie vergleichen, müsste präzisiert werden, mit welcher konkreten, vor allem aber der jeweiligen Schulorthodoxie entsprechenden Psychotherapie.

 

2. Begriffsklärungen

So wie im Alltagsgebrauch selten zwischen Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, von Psychoedukation ganz zu schweigen, unterschieden wird, weil offensichtlich beim Hören oder Lesen der Silbe „Psych“ die nachfolgende Spezifikation bereits übersprungen wird, wird meist auch alles, was man unter Selbsterfahrung subsumieren kann, undifferenziert zusammen geworfen, bedauerlicherweise oft sogar unter dem Überbegriff Psychotherapie. Allerdings können solche heilsamen Effekte ja durchaus auch durch viele dieser Praktiken hervorgerufen werden, denn „Der Erleuchtung ist es egal, wie du sie erlangst“ (Buchtitel).

Verstärkt wird solch ein nicht gesetzeskonformer Sprachgebrauch noch durch die Tatsache, dass deutsche Heilpraktiker – Angehörige eines Berufes, der in Österreich, vor allem infolge der erfolgreichen Proteste der Ärztekammerfunktionäre, nicht erlaubt ist, sich oft auch als Psychotherapeuten bezeichnen, obwohl diese Berufsbezeichnung in Österreich durch das Psychotherapiegesetz 1991 rechtlich geschützt ist; ebenso führen auch angebliche Absolventen einer Ausbildung in den USA (ohne den Versuch einer Nostrifikation) den keinerlei österreichischen Gesetzen entsprechenden Titel „Doctor of Naturopathy“ und gerieren sich illegal, aber werbeträchtig als Psychotherapeuten.

Wenn man die inhaltliche Bewertung von Psychotherapie und Psychotherapeuten in den letzten beiden Jahrzehnten mittels Medienanalyse verfolgt, kann man feststellen, dass sich in deren gesellschaftliche Achtung Schritt für Schritt gesamt gesehen massiv verbessert hat. Das hat mehrere Ursachen, die ich hier nicht ausbreiten möchte, dazu sind es zu viele; worauf ich aber hinweisen möchte, ist, dass dadurch viele Angehörige von „Geschwisterberufen“ versuchen, ihre Dienstleistungen als Psychotherapie zu „verkaufen“. Ich finde das schade, weil es meiner Ansicht nach nicht nur nicht der Redlichkeit entspricht, sich mit fremden Federn zu schmücken, sondern weil es das besondere Eigene verdeckt statt es selbst bewusst zu präsentieren. Es werden dadurch unnötige Platzkämpfe initiiert, durch die man sich nur selbst disqualifiziert.

Ich möchte ausdrücklich festhalten, dass ich dies als Juristin beurteile und nichts über die Qualität der Arbeit aussagen möchte. Ich erinnere aber, dass man im gewerblichen Freiraum des Berufsbildes von Lebens- und Sozialberatung (das ich 1989 als gewählte Funktionärin der Wirtschaftskammer konzipiert und in der Gewerbeordnung gesetzlich verankert habe) durchaus neue Angebote entwickeln darf – sie dürfen nur nicht mit gesetzlich geschützten Tätigkeiten (oder auch Institutionen wie etwa Universitätsinstituten) verwechselbar sein. Gesetzlich ungeschützt, daher als selbständiger Unternehmer frei ausübbar, sind derzeit als pädagogisch oder philosophisch ausgewiesene Tätigkeiten – und Angebote an geleiteter Selbsterfahrung.

Wenn nun zwischen Naikan und Psychotherapie differenziert werden soll, erhebt sich vorab folgende Frage: nach welchen Kriterien sollen Differenzen oder Gemeinsamkeiten erhoben werden? Möglichkeiten wären beispielsweise (demonstrative, nicht taxative Auflistung!):

  1. nach der Zielsetzung; dazu ist anzumerken, dass im traditionellen japanischen Gesellschaftsverständnis Gemeinschaft allgemein (also unabhängig von familiären oder quasifamiliären Gruppierungen) einen übergeordneten Stellenwert besitzt im Gegensatz zu dem traditionellen westlichen Individualismus (egal ob er mit Leistung oder Erwählung gekoppelt wird).
  2. nach Eigenschaften der praktizierenden / konsumierenden Personen; dazu ist anzumerken, dass das östliche nicht schroff polarisiert wie das westlichen Denken, daher auch nicht Gesundheit und Krankheit klar trennt, sondern davon ausgeht, dass wir immer beides (und ebenso anderes Prädikatives, was im Westen als Gegensatzpaar verstanden wird) gleichzeitig sind[3]. Damit stoßen bereits Versuche, Gemeinsamkeiten von Naikan – das nicht als Krankenbehandlung definiert ist – und Psychotherapie – die sehr wohl als Behandlung identifizierter Leidenszustände bzw. Krankheiten verstanden wird – zu beschreiben, auf das – trotz der vielfältigen Bemühungen um EU-Vereinheitlichungen zumindest in Österreich zunehmende! – westliche Bedürfnis nach Abgrenzungen und Hierarchisierungen.
  3. nach den Wirkungen und Nebeneffekten; da diese von vielen Variablen beeinflusst werden und langjährige Praxis in der Arbeit mit Menschen zeigt, wie unterschiedlich individuelle positive wie auch negative Reaktionen ausfallen können und wie sehr sie auch im Zeitablauf unterschiedlich bewertet werden, lehne ich derartige Bezeugungen ab, auch wenn sie in Statistiken eingebettet sind; ich empfinde sie als verdeckte Werbung (oder Abschreckungsversuch).
  4. nach konkreten methodischen Strukturen und Interventionen; hier möchte ich schwerpunktmäßig ansetzen, vor allem auch vor dem Hintergrund der Bestätigungen, die Psychotherapie seit Mitte der 1990er Jahre durch den Einsatz von bildgebenden Verfahren in der Hirnforschung erfahren hat. Leider wird dies in der populärwissenschaftlichen Fachpublizistik selten entsprechend gewürdigt; ich führe das darauf zurück, dass mit Ausnahme von Joachim Bauer, der nicht nur Internist, Psychiater und Gehirnforscher, sondern auch Psychotherapeut ist, andere Autoren wie Gerald Hüther, Gerhard Roth oder Manfred Spitzer von der Neurobiologie oder Neurologie/ Psychiatrie herkommen und nicht über psychotherapeutische Praxis verfügen, was bedeutet, dass sie nicht gewohnt sind, die neuronalen Reaktionen der Personen, mit denen sie sich im psychotherapeutischen Dialog befinden, professionell mitfühlend wahrzunehmen und in ihren Gegenübertragungen zu entschlüsseln.
  5. aber auch nach geistesgeschichtlichen Grundlagen oder
  6. kulturspezifischen Eigenheiten. Beide letzte Punkte will ich auslassen, da sie den Rahmen der Seminararbeit sprengen würden. Ich möchte aber auf das lesenswerte Buch „Gut und (Ge)schlecht. Männlichkeit, Kultur und Kriminalität“ (Walter de Gruyter, Berlin 1997) von Joachim Kersten, Professor an der Fachhochschule für Polizei Villingen-Schwenningen, hinweisen, der darin europäische, japanische und australische Männlichkeitskonzeptionen vergleicht.

 

3. Was ist Naikan?

Naikan bedeutet wörtlich übersetzt Innenschau. Hartl/ Schuh schreiben, „Die NAIKAN- oder INNENSCHAUMETHODE sehen wir als eine METHODE, bei der Menschen in einem klaren Setting mittels drei Fragen in genau abgegrenzten Zeiträumen ihr Erlebtes untersuchen.“[4] Und sie präzisieren: „Für uns ist NAIKAN NICHT gleich Psychotherapie, Selbsterfahrung, Religion oder ein Persönlichkeitsentwicklungskurs oder ein neuer esoterischer Boom. Die NAIKAN-Methode kann jedoch auch psychotherapeutisch wirken, eine Selbsterfahrung beinhalten, eine religiöse Praxis bereichern oder vertiefen oder die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen fördern, und natürlich kann sie Menschen anregen, die sich in esoterischer Richtung beschäftigen.“[5]

Claudia Müller-Ebeling und Gerald Steinke hingegen präzisieren Naikan als „eine einfach zu erlernende  und überaus effektive Methode zur Selbstreflexion“.[6] Sie scheiben aber auch, Naikan sei „Innenschau – Innere Arbeit an der Seele – Erkenntnisweg – Intensive Suche – Versöhnung mit der Vergangenheit – Meditation – Offenbarung – Erleuchtung – Konzentration auf das Wesentliche – Wechsel der Perspektive – Technik – Methode – Selbsttherapie“ und „Ein Ort, an dem ich es mir wohlergehen lasse – Ein Weg, um Schuldgefühle loszulassen – Eine kleine Wiedergeburt“.[7]

Die Frage, was Naikan sei, beantwortet der psychotherapeutisch ausgebildete und zu Naikan forschende Psychologe Detlev Bölter einerseits mit „Im Naikan führen drei Fragen zur Erkenntnis, wie wir die Wahrnehmung von Ereignissen im Bewusstsein umsetzen“, und ergänzt, „Vielleicht gibt es, in einem tieferen Sinn, sogar nur eine einzige Frage.“ Andererseits setzt er nachfolgend dazu: „Was Naikan „ist“, kann und will ich auch am Ende dieses Buches nicht definieren.“[8]

Wenn ich nun selbst eine Definition wagen wollte, würde ich nur formulieren: „Naikan ist eine strukturierte Methode zur Selbsterforschung aus dem japanischen Kulturkreis. Sie wird dort quasi als Psychotherapie eingesetzt.“ Mit dem letzten Satz beziehe ich mich auf den Text von Inanaga Kazutoyo und Timothy Leuers, „Naikan aus der Sicht der Psychoanalyse“[9]

 

4. Was ist Psychotherapie?

Nach § 1(1) des österreichischen Psychotherapiegesetz 1991 ist Psychotherapie eine „nach einer allgemeinen und besonderen Ausbildung erlernte, umfassende, bewusste und geplante Behandlung von psychosozial oder auch psychosomatisch bedingten Verhaltensstörungen und Leidenszuständen mit wissenschaftlich-psychotherapeutischen Methoden in einer Interaktion zwischen einem oder mehreren Behandelten und einem oder mehreren Psychotherapeuten mit dem Ziel, bestehende Symptome zu mildern oder zu beseitigen, gestörte Verhaltensweisen und Einstellungen zu ändern und die Reifung, Entwicklung und Gesundheit des Behandelten zu fördern.“

An diese Formulierung wurde sehr lange und intensiv gearbeitet, sollte sie doch die Zustimmung aller Vertreter der Psycho-Berufsverbände, aber auch der konservativen Ärzteschaft erhalten, die sich jahrelang dagegen gesträubt hatten, dass Personen ohne abgeschlossenem Medizinstudium und auch ohne ius practicandi psychotherapeutisch arbeiten dürften. Auf eine abgeschlossene psychotherapeutische Ausbildung lege artem hatten sie weniger Wert gelegt … (Kaum war aber das Psychotherapiegesetz in Kraft getreten, begann die Ärztekammer mit einer dreiteilig aufeinander aufbauenden internen Kurzausbildung für ihre Mitglieder, die sich nun je nach Absolvenz „Arzt für psychosoziale Medizin“, „Arzt für psychosomatische Medizin“ und „Arzt für psychotherapeutische Medizin“ nennen dürfen und von den Krankenkassen für ihre – zeitlich kürzeren – Interventionen um ein Mehrfaches entlohnt werden als die langzeitig ausgebildeten und supervidierten, vom Gesundheitsministerium nach ausgiebigem Prüfverfahren approbierten „echten“ Psychotherapeuten. Ich habe selbst in den 1990er Jahren im „Psy 1“ der Wiener Ärztekammer Gendermedizin unterrichtet und war ziemlich entsetzt, was der den Kurs begleitende Arzt darunter verstanden haben wollte – nämlich Mars-Männer und Venus- Frauen.)

Psychotherapie ist grundsätzlich eine Heilbehandlung für neurotische oder mit Einschränkungen psychotische – d. h. neuronal verankerte bzw. verursachte – Symptomatiken; Psychoanalyse hingen ist nicht nur dies sondern beansprucht auch, Kulturkritik zu sein. Erich Fromm  schreibt, „Oberflächlich gesehen war Freud der Schöpfer einer neuen Therapie für Geisteskrankheiten, und das war auch der Gegenstand, dem sein Leben lang sein Hauptinteresse und alle seine Bemühungen galten. Bei näherer Betrachtung stellen wir jedoch fest, dass sich hinter dieser Idee einer medizinischen Therapie von Neurosen ein vollkommen anderes Interesse verbarg, […] das über den Begriff von Krankheit und Heilung hinausging.“[10] Fromm beantwortet die Frage nach dem „Wesen“, der „Vision“, dem „Dogma“, auf das sich dieses hinaus gehende Interesse bezog, mit „die Befreiung des Menschen innerhalb seiner Möglichkeiten aus der Macht des Unbewußten“ und präzisiert: „Freuds Ziel war die optimale Erkenntnis der Wahrheit, und das ist die Erkenntnis der Wirklichkeit.“[11]. Hier sehe ich eine Parallele zu Naikan.

Der Unterschied zu Naikan besteht allerdings darin, dass in der Psychoanalyse und den aus ihr entwachsenen Psychotherapieschulen sich die Erkenntnis der Relativität von Wahrheiten und Wirklichkeiten im Dialog mit dem Therapeuten entwickelt, während der Naikan-Praktizierende in der konzentrierten Erforschung seiner bisherigen Sicht auf sein Beziehungsgeschehen allein erkennt, wo überall es auch eine ganz andere Anschauung gibt – diese also von seinem Blickwinkel abhängt, oder wie Fromm an anderer Stelle den Zen-Meister Joshu Jushin (778 – 897)[12] zitiert, „… es hängt von der Art, wie eine Türangel angebracht ist, ab, ob die Tür nach innen oder nach außen aufgeht“[13]

Psychoanalytische und humanistische Psychotherapeuten werden unter anderem auch daraufhin ausgebildet, mehrperspektivisch, d. h. nicht linear und nicht nur polar sondern komplex zu denken. Diese Kompetenz brauchen sie, um im Gespräch mit dem oder den Klienten (egal welche Techniken sie dazu anwenden oder welchen Stil sie verwirklichen) andere Sichtweisen aufzuzeigen. Im Naikan entstehen diese anderen Sichtweisen dadurch, dass der Praktizierende aufgefordert ist, sich rein an Tatsachen zu halten und seine bisherigen Bewertungen wegzulassen.

Jede psychotherapeutische Dienstleistung basiert auf ganz bestimmten spezifischen Fähigkeiten des Therapeuten und auch hier gelten Bewertungen, egal ob positiv oder negativ, als grober Kunstfehler; sie dürfen nur in Einzelfällen und dann ganz bewusst als Provokation bzw. paradoxe Intervention eingesetzt werden und müssen von „bedingungsloser Wertschätzung“ des Klienten[14] getragen sein.

Üblicherweise werden zur Bestimmung dieser Fähigkeiten die drei sogenannten Rogers-Kriterien genannt: Akzeptanz (bedingungslose Annahme), Empathie (tiefste Einfühlung) und Kongruenz (Echtheit und Wahrhaftigkeit).[15] Diese drei wesentlichen[16] Eigenschaften bzw. Verhaltensweisen des Therapeuten werden in der weiter führenden, nämlich auf andere Berufsfelder als Psychotherapie hinzielenden, Fachliteratur nicht als minimales Oberflächenerfordernis ausgewiesen bzw. werden nicht als solches erkannt.

Viele – auch Naikan-Anleitende! – glauben, sie wären akzeptierend, wenn sie sich höflich neutral verhalten. Genau das ist Oberfläche ohne Berücksichtigung von Übertragungs- und Gegenübertragungsgeschehen. Von einem personzentrierten, d. h. nach Rogers, wie er seine Arbeit in seiner letzten Entwicklungsstufe verstanden wissen wollte, ausgebildeten Psychotherapeuten wird erwartet, dass er sich seiner Gegenübertragung (dies ist zwar ein Freud’scher Ausdruck und wird nach Rogers nicht verwendet, ist aber im Begriff der Akzeptanz enthalten) voll bewusst ist und aus tiefster humaner Überzeugung auf Bedingungen wie „Ich akzeptiere dich nur, wenn du dich …(respektvoll, zivilisiert, gesetzestreu, …) verhältst“ verzichtet bzw. diesen Verzicht so verinnerlicht hat, dass es ihm gar nicht mehr in den Sinn kommt, Bedingungen zu stellen. Diese zutiefst jesuanische Geisteshaltung – Rogers kam ja von der Theologie her ehe er Psychologe wurde – stellt hohe Anforderungen an die Liebesfähigkeit von Therapeuten und kann mit der Forderung nach Kongruenz in Widerstreit geraten. In solch einem Zweifelsfall gilt es immer, wahrhaftig zu bleiben, und das wiederum stellt eine hohe Anforderung an Verbalisierungsfähigkeit dar.

Ich finde dieses tiefe Verständnis von Empathie aber auch bei dem Neopsychoanalytiker Fromm wieder, wenn er schreibt: „Um eine andere Person zu kennen, muß man in ihr sein, muß man sie selbst sein.“ und ausführt, was der Therapeut leisten muss, nämlich Fachperson und gleichzeitig alter Ego des Patienten zu sein, denn „Nur wenn er dieses Paradoxon akzeptiert, kann er ,Interpretationen‘ geben, die Autorität besitzen, weil sie ihre Wurzeln in seinem eigenen Empfinden haben.“[17], was nach Rogers hieße: weil er dabei kongruent ist.

Kongruenz oder mit anderen Namen Authentizität oder Echtheit bedeutet, dass der Therapeut seine eigenen Schattenseiten bereits im Augenblick des innerseelischen Auftauchens erkennt und transformiert, also beispielsweise nicht, um sich beim Klienten beliebt zu machen, auf seine Rückmeldung verzichtet, sondern seine eigenen darunterliegenden Bewertungen und Motive wahrnimmt und in sich auflöst und danach erst in wertschätzender Weise die Botschaft formuliert, die dem Klienten hilft, sich selbst besser zu verstehen. Fromm formuliert: „Sein Unbewußtes zu entdecken ist gerade keine intellektuelle Tätigkeit, sondern ein affektives Erlebnis.“[18] Das gilt für beide Dialogpartner.

Dank der Erkenntnisse der computergestützten Gehirnforschung und der Entdeckung der Spiegelneuronen[19] kann heute der sichtbare Nachweis erbracht werden, wie der leibseelische Entspannungszustand von Offenheit und Leere – diese Worte sind wiederum eine andere Detailbeschreibungen von Akzeptanz, ähnliches meint auch Freud mit „freischwebender Aufmerksamkeit“ –, der in psychoanalytischen Psychotherapieformen und in der personzentrierten Gesprächspsychotherapie nach Rogers praktiziert wird, in einem bioelektrischen Übertragungsgeschehen zu der Gleichschaltung von Neurotransmitterausschüttungen führen kann, die dieses tiefe Ahnen, Wissen und gleichzeitig Fühlen und körperlich Empfinden der anderen Person ermöglicht.

Akzeptanz, Empathie und Kongruenz sind deswegen heilsam im tiefsten Sinn des Wortes, weil der Klient durch das Setting des Gegenübersitzens nicht nur hört (wie in der klassischen Psychoanalyse) sondern auch sieht und spürt, ob er vom Therapeuten bedingungslos angenommen und im Gleichklang verstanden wird. Diese in der Person verdichtete Dreiheit löst neuronale Verschaltungen wie gleichzeitig physische  Verspannungen und damit destruktive Denk-, Reaktions- und Verhaltensmuster und schafft Freiraum für die bisher aus Angst oder Scham blockierte Weiterentwicklung; sie entspricht damit dem Ideal von Elternliebe.

Diese gegenüber gedanklicher Alltagsoffenheit übergroße seelische Offenheit wird nun aber von vielen (gelegentlich leider auch Psychotherapeuten!) mit geschlechtlicher Liebe oder auch nur Paarungsbereitschaft verwechselt und ist eine der Ursachen von sexueller Ausbeutung in psychotherapeutischen Beziehungen. Fromm schreibt, „Freud dachte, die Unabhängigkeit des Patienten vom Analytiker könne am besten durch eine spiegelglatte, unpersönliche Haltung des Analytikers erreicht werden.“[20] Dieses „Abstinenzgebot“ – d. h. Enthaltsamkeit aller alltagssozialen Beziehungen – sollte vor allem aber den Analytiker vor einer drohenden jolie à deux schützen.

Herzoffenheit entspricht Liebe, allerdings im Sinne der nicht auf sexuelle Vereinigung zielenden Agape. Fromm schreibt Ähnliches über den Zen-Meister, dessen Liebe realistisch und nicht sentimental ist: „Sie ist eine Liebe die die Realität des menschlichen Schicksals hinnimmt, daß keiner von uns den anderen erlösen kann und daß wir doch niemals aufhören dürfen, jede Anstrengung zu machen, um einem anderen zu helfen, sich selbst zu erlösen.“[21]

Diese Gefahr (und das Erfordernis der anderen personalen Fähigkeiten) besteht im Naikan-Prozess nicht, da er nicht dialogisch angelegt ist, vom Naikan-Begleiter weder affektive Zuwendung verlangt noch Interesse für die Lebensgeschichte, sondern nur für die Einhaltung der erprobten Struktur.

 

5. Die „falschen“ Bräute

So wie es im Märchenschatz das Motiv der falschen Braut gibt, die sich die Kleider der echten Braut anzieht und damit den Bräutigam täuscht, tauchen auch im Alltagsleben immer wieder Herausforderungen auf, Plagiate, Kopien, Imitationen, einfach Unechtes eben zu erkennen.

Wie schon zu Ende des 19. Jahrhunderts eine Welle von Interesse für antike orientalische Kunst und Kultur das europäische Denken bereicherte, ist seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts eine Welle von Interesse für östliche Gesundheitstechniken festzustellen. Diese sind für den Westeuropäer nicht so leicht von religiösen Weisheitslehren und Praktiken zu unterscheiden, obwohl sich all das auch in der europäische Tradition finden lässt (und eigentlich auch unnötig ist). Letztere ist aber infolge der Entwicklung hin zu medizinischen Technik-gestützten Versorgungsbetrieben weitgehend abgewertet worden; auch heute noch wird Komplementärmedizin von konkurrierenden Schulmedizinern mit Hilfe von aufklärungsbeflissenen Wissenschaftsjournalisten medial verteufelt[22].

Trotz oder gerade wegen der Globalisierung hat sich eine kämpferische Konkurrenzgesellschaft etabliert – auch auf dem Gebiet des Gesundheitswesens. Außer der Abwertung der „Mitbewerber“ (bereits diese Wortschöpfung deutet auf die Dominanz des Marktdenkens hin!) zeichnet sich die Konkurrenzgesellschaft auch durch Werbung um den Konsumenten aus; beliebtes Mittel dazu ist die Erweckung von Unzulänglichkeitsgefühlen und Hoffnungen auf Selbstverbesserung zur Überwindung der konkurrenzbedingten Existenzängste. Der seit etwa den 1970er Jahren in Österreich feststellbare Psychoboom spiegelt die Zunahme der als  „Heilmittel“ angebotenen Psychotechniken wider, die entweder aus den USA oder aus dem fernen Osten importiert wurden und werden[23].

Ein wesentliches Kriterium zur Unterscheidung der Seriosität der Anbieter psychoaktiver Dienstleistungen ist die Überprüfbarkeit ihrer Ausbildungs- und Praktikums-Schritte.

Die Ausbildung zum Psychotherapeuten, der in Österreich ein eigenständiger Beruf ist (und nicht wie in Deutschland zur Verrechenbarkeit der Dienstleistungen einem Medizin- oder Psychologiestudium zugekoppelt), wurde nach über zwei Jahrzehnten Ringen um eine Einigung zwischen Ärzten, Psychologen, Sozialarbeitern und der inhomogenen Gruppe derjenigen, die mit dem Gewerbeschein „Psychologische Beratung“ arbeiteten (und unter denen sich auch einige wenige Astrologen, Numerologen, Radiästheten etc. aber auch schlichte Pyramidenverkäufer eingeschlichen hatten) und die damals von mir vertreten wurde, im Psychotherapiegesetz einheitlich festgelegt. (Um diese Nicht-Psychotherapeuten zur Deklaration ihres Angebots jenseits von Psychotherapie zu motivieren, habe ich dazumal ja die Ausbildungsordnung für diese Berufsgruppe, die nunmehr Lebens- und Sozialberater heißt, und die sich durchaus mit psychotherapeutischen Ausbildungen messen kann, konzipiert!) Zwar ist für die Zulassung zur Psychotherapieausbildung ein sogenannter Quellenberuf erforderlich, doch gibt es auch die Möglichkeit, bei besonderer Begabung auch ohne einen solchen über den „Genieparagrafen“ und eine kommissionelle Eignungsfeststellung mit der Ausbildung (vier Semester Propädeutikum und anschließend Fachspezifikum in der psychotherapeutischen Schule der Wahl, Dauer unbestimmt, weil von der Freigabe durch den Ausbildungs-Staff abhängig,  beginnen zu dürfen.

Nach Abschluss der Ausbildung kann beim Gesundheitsministerium um die Eintragung in die Psychotherapeutenliste angesucht werden; diese wird nach Begutachtung durch den Psychotherapiebeirat (dem ich von 1991 – 2001 als Vertreterin der Wirtschaftskammer angehört habe) erteilt – oder auch nicht. Da im Psychotherapiebeirat alle vom Gesundheitsministerium nach eine sehr strengen Approbationsverfahren anerkannten psychotherapeutischen Schulen, aber auch die Kammern und die Rektorenkonferenz (alle diese natürlich wiederum durch Psychotherapeuten ihres Vertrauens) vertreten sind, ist in diesem Gremium mehr Kenntnis der ansuchenden Personen gebündelt als aus ihren vorgelegten Unterlagen ersichtlich wäre.

Vom Psychotherapiebeirat wurden dazu noch Unterkommissionen z. B. für Ausbildungs- oder Ethikfragen gebildet. In letzterer, der ich ebenfalls einige Jahre angehört habe, werden Beschwerden gegen Psychotherapeuten behandelt und gegebenenfalls die Lizenzen entzogen. (Derzeit bin ich wieder einmal als Gutachterin in solch ein Entzugsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs einer Klientin durch einen Psychotherapeuten involviert.)

Für Lebens- und Sozialberater und andere Anbieter psychoaktiver Dienstleistungen (z. B. Energethiker, Lichtarbeiter, Schamanen, „Heiler“ etc. ) besteht ein solcher Ethikgremium leider nicht – und so kommt es immer wieder zum Verweis Geschädigter auf den Zivilrechtsweg, wo Juristen ohne Kenntnisse der Psychoszene geschweigedenn Übertragungs- und Gegenübertragungsgeschehen nach ihren Vorurteilen agieren, nämlich die berechtigten Schadenersatzansprüche ablehnen. Worte können ja heilen, aber auch langzeitwirksam traumatisieren. Das wollen sie nicht zur Kenntnis nehmen – dann müssten sie ja auch ihre eigenen Worte auf Gesundheitsschädlichkeit überprüfen.

Was die Ausbildung zum Naikan-Begleiter betrifft, heißt es bei Katashi Takeuchi in Bezug auf die psychotherapeutische Schule der Existenzanalyse (oder Logotherapie) nach Viktor Frankl: „Es scheint, dass seine Existenzanalyse einen Berater mit exzellenten Fertigkeiten und Einsicht voraussetzt, der dem Klienten im Laufe des Gesprächs die geeigneten Ratschläge[24] geben kann. Die Naikan-Therapie andererseits benötigt keine solchen Fertigkeiten oder Techniken. Jeder Übende wird gebeten, einfach zu sitzen und die Reflexion leise zu wiederholen. Der Naikan-Praktiker, der Naikanleiter, muss kein Mensch mit einer ansehnlichen Laufbahn in der Psychotherapie sein. Er ist qualifiziert, wenn er die Fähigkeit besitzt, die Phase wahrzunehmen und zu unterstützen, in der sich dem Übenden das wahre Selbst zeigt, aber mehr nicht. Keine weiteren Fertigkeiten oder Einsicht sind erforderlich.“ [25]

Dadurch, dass die Begleiter des Naikan-Prozesses zumindest während des Retreats kaum Kontakt zu den Praktizierenden pflegen, und auch durch die im Vergleich zu Psychotherapien kurze Dauer, scheint die Gefahr unerkannten Übertragungsgeschehens gebannt; allerdings sollten alle, die mit Menschen arbeiten (also auch Ärzte, Therapeuten, Lehrer, Rechtsanwälte, Finanzberater und klarerweise auch Seelsorger) zumindest über die Tatsache von Übertragungs-Lieben Bescheid wissen – denn auch diesen Lieben „ist es egal, wie man sie erlangt“! – um sich nicht gegebenenfalls in derartige Wirrnisse zu verstricken.

Die Erfahrung mit Übertragungsprozessen zeigt allerdings, dass es häufig im Zuge der Idealisierung und Identifizierung mit dem Therapeuten zu dem Wunsch kommt, in seine Fußtapfen zu treten – ein regressives Verhalten, dass der phallischen Phase der psychosexuellen Entwicklung nach Freud bzw. E. H. Erikson entspricht. In einer tatsächlich nachfolgenden Psychotherapieausbildung kann erwartet werden, dass solche Idealisierungen bzw. Identifikationen erkannt und bearbeitet werden; erfolgt dies nicht, was leider manchmal passiert, entwickelt sich ein narzisstischer Besserwisser, der selbst mehr Schaden anrichtet als Schäden beseitigen hilft[26].

„An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“, heißt es in Matthäus 7,16 in Hinblick auf die „falschen Propheten“, und oft wird im Alltag statt Früchten Taten oder Werke gesagt, um den Unterschied zwischen dem Reden und dem Tun noch mehr zu verdeutlichen.

Immer wieder kommen Menschen zu mir, die durch Fehlinterventionen oder auch Ausbeutung (nicht nur sexuelle, sondern auch finanzielle) von Therapeuten (selbsternannte mitgemeint) verletzt wurden, und die weder „Erste Hilfe“ noch nachträgliche Anerkennung des Fehlverhaltens erhielten.

Die zitierten Werke bestehen aber nicht bloß im Bemühen um Wiedergutmachungen. Die sind nur sichtbare Versuche, sich weitere Vorwürfe zu ersparen. Ich erinnere mich an die Empörung eines Klienten, der den greisen Prälaten, der ihn als Jugendlichen sexuell missbraucht hatte, mit dem Vorwurf des jahrelangen und noch immer nicht beseitigten Leidens, das dadurch ausgelöst worden war, konfrontiert hatte; der Kirchenmann verteidigte sich bar jeder Empathie weinerlich mit „Aber ich habe doch ohnedies so viel gebüßt! Ich habe als Wiedergutmachung jahrelang Gelder für Hilfsprojekte in Afrika zusammen gebettelt, und das war sehr schwer und demütigend!“

Wiedergutmachung und überhaupt Gutmachung besteht in authentischem Verhalten. In echter Reue. In echtem Respekt. In echter Wertschätzung. (Das kann aber auch „echter Zynismus“ sein – der tut zwar weh, stellt aber Wahrhaftigkeit her.)

Ich werde oft gefragt, woran man einen guten Psychotherapeuten erkennt. Ich sage dann immer: „Reden Sie ihm (ihr) dagegen!“ oder „Fangen sie mit ihm (ihr) Streit an!“ Dann zeigt sich nämlich gleich, ob er oder sie respektvoll mit dem „Widerspruch“ umgehen kann – und Interesse zeigt, mehr zu erfahren – oder nur an der Bewahrung einer hegemonialen Position interessiert ist.

Neutrale Distanz – die oben zitierte „spiegelglatte, unpersönliche Haltung“ – so höflich sie auch demonstriert wird, ist kein echter Respekt. Der erfordert nämlich die Nähe, in der Reibung – positiv wie negativ – möglich ist, und genau diese gehört aus Sicht der psychoanalytischen und humanistischen Psychotherapieschulen bearbeitet. (Die älteren verhaltenstherapeutischen Schulen versuchen sie zu vermeiden, die jüngeren setzen sich schon zumindest theoretisch damit auseinander.) Das spüren potenzielle Psychotherapieklienten auch oft und weigern sich dann gegen den Rat ihrer Hausärzte, psychotherapeutischen Hilfe in Anspruch zu nehmen. Denn das, was Hausärzte meist gut differenzieren können, ist, um eine Formulierung Sigmund Freuds zu verwenden, neurotisches Elend, also einen andauernden Leidenszustand ohne zuordenbare Quelle, von allgemeinem, reaktivem Leid zu unterscheiden.

Hier macht sie aber wiederum eine Kulturdifferenz zwischen West und Ost bemerkbar. Matthias Ennenbach weist in seinem Buch „Buddhistische Psychotherapie“ darauf hin, dass Buddhisten Leiden als „ein Phänomen ansehen, dass alle betrifft“, während westliche Menschen, vor allem aber auch Therapeuten einen fehlerhaften Stoffwechsel im Gehirn, unpassend erlerntes Verhalten oder ein störendes Ereignis als Ursache der definierten Anomalie ansehen. Er beschreibt dies mit: „Die meisten Menschen, so heißt es, seien weitgehend gesund, nur ein mehr oder weniger kleiner Anteil der Bevölkerung sei krank und behandlungsbedürftig.“[27] Und er fragt: „Ist es eine Übertreibung, wenn behauptet wird, dass sich unsere Kultur vorwiegend über Starksein, Erfolgreichsein, Jugend, Materialismus ect. definiert? Hast du was, bist du was! Wer leidet, hat etwas falsch gemacht oder ist Opfer.“[28]

 

6. Ich mag mich nicht!

Peter F. Schmid, einer meiner Ausbildner im personzentrierten Ansatz nach Rogers (den ich noch selbst im Unterricht erleben durfte), weist in seinem Buch „Personale Begegnung“ darauf hin, dass der Hilfesuchende in der (im therapeutischen Anspruch gelebten) Beziehung von Person zu Person lernt, sich selbst so zu begegnen, wie ihm der Berater begegnet. Er schreibt: „Der so Angenommene und Verstandene kann die Erfahrung machen, dass er sich auch selbst so annehmen und verstehen kann – eine Erfahrung, die für die Mobilisierung der eigenen Heilungskräfte wesentliche Bedeutung hat. Da ein Problem haben immer auch heißt, sich nicht so zu mögen, wie man ist, ist diese ,korrektive Erfahrung‘ im Angenommen- und Verstandenwerden ein heilsamer Prozeß.“[29]

Einen analogen „heilsamen Prozess“ erleben Klienten auch, wenn sie auf der Suche nach der Urszene neurotischer Leidenszustände die „Begegnung mit dem Kind, das ich einmal war“ wagen – eine Methode aus der Hypnotherapie nach Milton H. Erickson[30]: in einer suggestiv gelenkten Regression wird das zu der belastenden Emotion gehörende auslösende Erlebnis geortet und visualisiert und dem Kind von damals das Mitfühlen gewidmet, das ihm seinerzeit gemangelt hat und zum nötigen Ausdruck (auch im physischen Sinne von etwas aus-drücken) der Stresshormonausschüttungen geführt hätte. Dieser wird dadurch im Nachhinein wieder möglich (und das entspricht exakt der Freud’schen Struktur von „Erinnern – Wiederholen – Durcharbeiten“).

Bei dieser Methode geschieht die Heilungsarbeit nonverbal – wieder eine Parallele zu Naikan: so stellt Detlev Bölter die Frage, ob „sprachliche Bewältigung und das damit verbundene unterscheidende Denken für heilsame Prozesse notwendig ist.“, und „ob Bilder dies ebenfalls vermögen oder sogar hinderlich sind.“[31] Bölter widerspricht an dieser Stelle dem japanischen Psychoanalytiker Takemoto, der die verbale Deutung des Analytikers für das Veränderungswirksame hält und nicht die „bildhafte“ Erinnerung. Bölter schreibt: „Das Verhältnis von Sprache zu Bildern ist im Naikan ein grundsätzlich anderes als in der Psychoanalyse: Die Urbilder des Unbewussten – Triebansprüche, Archetypen und Verdrängtes[32] – werden in der Psychoanalyse durch mentale und sprachliche Bearbeitung zu Objekten differenziert, dadurch sublimiert und in das Ich integriert – psychoanalytisch gesagt.“ Und weiter: „ … im Naikan werden jedoch nicht die Urbilder aufgedeckt, sondern faktisches Geschehen der Vergangenheit; es handelt sich um Schuldthemen und damit um Ich-Überich-Konflikte. Bildhafte Fakten dieser Art aus der Verdrängung heraufzuholen, sich ihnen zu stellen und sie anzuerkennen, ist heilsam und nicht bedrohlich.“[33] Aus meiner Sicht bemüht sich Bölter hier darum, einen Gegensatz zu verdeutlichen, den es aus meiner Sicht gar nicht gibt: wenn man der Jung’schen Quadrinität[34] optimaler Gesundheit, gebildet in der Balance von den zwei Gegensatzpaaren Denken und Fühlen sowie körperlich Empfinden und Intuieren, folgt, ergibt sich daraus, dass jedes Erinnern von Fakten auch mit Emotionen und Gefühlen aber auch Intuitionen und Fantasien begleitete ist und natürlich auch von körperlichen Empfindungen – es liegt nur am Lebenstempo westlicher Menschen und ihrer ungerichteten Achtsamkeit (oder fehlenden Übung), dass sie meist nur ihre Gedanken wahrnehmen und nicht alle drei anderen Bewusstseinsformen. Es sind immer alle vier Funktionen gleichzeitig beteiligt, nur unterschiedlich quantitativ bewusst wahrgenommen, aber Heilung geschieht dann, wenn die Balance eintritt – und auch der „ist es egal wie man sie erlangt“.

Ich habe in den 1980er Jahren in meiner Focusing-Ausbildung – einer Methode, in der in einer einfachen Sprachstruktur die Viererbalance hergestellt wird, und in der die Ausbildnerin Agnes Wild-Missong die Parallele zu Jungs Quadrinität betonte – gelernt: Wenn Freud von „Erinnern – wiederholen – durcharbeiten“ sprach, so meint dies konkret: „Kognitiv erinnern – emotional wiederholen – physisch durcharbeiten“. Das physische Durcharbeiten bedeutet üblicherweise aussprechen – es kann aber auch in Zittern, Schwitzen, Weinen oder anderen Ausscheidungen bestehen oder in der Körperbewegung, die Eugene Gendlin, der Begründer von Focusing, den „body shift“[35] nannte. Genau der tritt auch bei naikan auf.

Der „body shift“ ist eine Form von Reinigung: Altes Toxisches wird ausgeatmet.

 

7. Die Vermasselung der Reue

In einer buddhistischen Psychotherapie, wie Matthias Ennenbach sie zu entwickeln versucht, wird unumgänglicher Schmerz und vermeidbares Leiden unterschieden. Unvermeidliche Schmerzen sind die vorprogrammierten Schmerzerfahrungen des Lebens (z. B. rund um die Geburt), der Schmerz des Gewahrwerdens von Vergänglichkeit und der Schmerz aufgrund von Unwissenheit.[36] Vermeidbares Leiden umfasst die jeweils individuelle Reaktion.[37] Dazu zählet beispielsweise Scham, Selbstzweifel, Selbstvorwurf, Widerstand, eine Wut- oder Trotzreaktion etc.[38] Ohne jetzt die so genannten „Vier Edlen Wahrheiten“[39], die sich alle auf Leiden beziehen,  ausbreiten zu wollen, sei nur angemerkt, dass Erkennen und Verstehen, Vertiefen und Verinnerlichen sowie Verwirklichen und Umsetzen drei Stufen der lösenden Selbsterfahrung darstellen. Bölter schreibt: „Allgemein sollte eine Verlangsamung in den bislang schnellen automatischen und unbewussten emotionalen Reaktionsmustern erzeugt werden. Ein selbstkritischer Zweifel sollte unterstützt werden, nach dem Motto: Meine spontane Reaktion ist vielleicht nur eine Variante unter vielen anderen möglichen. Hilfreich sind zum Beispiel Methoden wie das Heilige Innehalten.[40]

Denken kann geübt werden und zu automatischen Abläufen beschleunigt werden. Fühlen geht nicht schnell. Egal ob in psychoanalytischen oder personzentrierten Therapien oder in der Konzentrativen Bewegungstherapie (eine Psychotherapieform!) oder auch in Naikan: überall wird der Zeitfluss der Aufmerksamkeit entschleunigt und damit das Aufsteigen tiefer Gefühle, Wünsche und Ängste ermöglicht. Oft „sitzen“ sie einem schon „im Hals“ (oder „östlich“ formuliert: die Energieblockade hat sich bis zum Hals-Chakra ausgedehnt) – und dann wird meist Unterstützung gesucht.

Dazu zwei Beispiele aus meiner psychotherapeutischen Praxis:

Vor knapp zehn Jahren (also etliche Jahre bevor ich mich entschloss, Theologie zu studieren) sucht mich Herr A. auf: er ist Mitte 40, in schwierigen beruflichen Verhältnissen und immer wieder von Depressionen heimgesucht. Therapeutische Hilfe sucht er, weil er seit langer Zeit vergeblich auf der Suche nach einem Mann ist, er ihn  wertschätzt und mit dem er auf Dauer in Liebe zusammen leben kann. Als Jugendlicher von einem Krankenpfleger im Spital sexuell missbraucht, fühlt er sich in Beziehungen leicht ausgebeutet, „verunreinigt“, als Mensch  missachtet – dennoch merkt er an sich masochistische Tendenzen, sich immer wieder in solche destruktiven Abhängigkeiten zu begeben.

In der vierten oder fünften Sitzung erzählte er „stolz“ (nämlich Anerkennung suchend), dass er gerne ministriere – aber im Stephansdom müsse es sein, nicht in seiner zuständigen Pfarre in einem Außenbezirk von Wien. „Ui – das ist aber ziemlich hochmütig!“ modifizierte ich daraufhin voll Humor, und ergänzte schmunzelnd, angepasst an die vermutete katholische Denkweise, „Das sollten Sie vielleicht einmal mit Ihrem Beichtvater besprechen – immerhin ist Hochmut eine Todsünde!“

In der nächsten Stunde berichtete Herr A. frustriert, sein Beichtvater hätte darauf hin nur salbungsvoll „geschwätzt“, wer ministriere, sei dadurch automatisch aller Sünden ledig. Ich konstatierte daraufhin trocken: „Er hat Ihnen also die befreiende Reue vermasselt!“

Ich hatte gehofft, dass der Priester sich Zeit nehmen würde, ihn zu fragen, was es für ihn denn Besonderes bedeute, wenn er in der Hauptkirche „diene“, oder zumindest nachzufragen, weshalb Herr A. einen Unterschied zwischen den Bezirken mache, wo es doch primär um sein Dienen d. h. Geben an den allgegenwärtigen Gott ginge und nicht um ein Sich etwas aus dem Gottesdienst Nehmen. Aber offensichtlich war Herr A. dem Beichtvater an einen wunden Punkt angekommen – vielleicht wäre der Priester auch gerne in einer renommierteren Pfarre tätig gewesen … und vielleicht hätte ich doch besser selbst sogleich diesen Punkt des „Sich ohne Auszeichnungen nicht annehmen Könnens“ bearbeiten sollen, wo ich ihn doch bereits erfühlt hatte.

In einem Naikan-Retreat wäre Herr A. möglicherweise über die drei Fragen hinsichtlich seiner angeblich so wenig wertschätzenden – versorgenden? – Sexualpartner zu seinem behaupteten  einseitigen Geben – sich darbieten – und vorgeblich nicht Nehmen – oder seinen Inszenierungen von Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen – gelangt und hätte vielleicht erkannt, dass und was er bisher bekommen hatte, und wie die tatsächliche Balance von Geben und Nehmen wäre. Ebenso hätte er die Dynamik von Geben und Nehmen über die drei Fragen an „Mutter Kirche“ bearbeiten können.

Demgegenüber vor zwei Wochen Frau B.: die junge freiberufliche Wissenschaftlerin lebt mit ihrem Ehemann in europäischen Ausland, seiner Heimat. Sie war vor Jahren schon einmal bei mir; nun meldet sie sich per Mail, sie habe eine Problem, das sie belaste und wäre kurz in Wien und möchte mich wieder aufsuchen, da ich ihr damals mit meiner schnellen und präzisen Erkenntnis ihres Problems sehr geholfen hätte. Sie kommt dann auch ohne Umschweife zu ihrer aktuellen Belastung: nach etlichen Familienplanungs-Gesprächen mit ihrem wesentlich älteren Mann hätten sie beschlossen gehabt, einfach auf Empfängnisverhütung zu verzichten. Weder sie und schon gar nicht er hätten einen aktuellen Kinderwunsch verspürt, aber doch gemeint, irgendwann sollte es wohl sein und gerade jetzt habe sie wenig Aufträge und kaum Aussicht auf eine Anstellung an einer Universität … Aber als sie dann sogleich schwanger geworden wäre, hätte sich kein sicheres Gefühl eingestellt sondern nur der Zwangsgedanke, ob sie auch wirklich ein Kind wolle und so habe sie dann doch – relativ spät, was in ihrem Aufenthaltsstaat legitim ist – abgetrieben. Seitdem lasse sie der Gedanke an mögliche Fortpflanzung, die sie doch gar nicht wirklich wolle, nicht los. Auf meine Nachfragen nach den Reaktionen ihrer Nächsten schildert sie, das wäre dort ja nur ihr Ehemann und der habe gleichmütig und ohne erkennbare Emotion ihre Entscheidung akzeptiert (d. h. er blieb neutral, möglicherweise unempathisch; ich spüre aber, dass das nicht das Problem ist – sie scheint eher dankbar, dass er ihr die Freiheit und Zeit lässt, zu sich selbst zu kommen). Eigentlich gäbe es keinen Grund für ihre Grübeleien, die Sache wäre doch abgeschlossen und sie niemand Rechenschaft schuldig … und genau dieses Wort macht mich stutzig, und ich frage, ob sie nicht doch jemandem noch Rechenschaft oder besser eine Erklärung, eine Entschuldigung schuldig geblieben wäre – dem Ungeborenen nämlich, und ich merke ihren „body shift“, wie ihr befreiende Trauer in die Kehle hoch steigt, und sage ihr, wenn ihr Tränen kämen, möge sie dies doch bitte nicht zurück halten, Tränen reinigen den Körper von alten eingespeicherten Stresshormonausschüttungen. Am Ende der Stunde bedankt sich Frau B. – ich hätte wieder genau den wunden Punkt getroffen, und sie werde ich jetzt bei dem Ungeborenen entschuldigen. Zwischenzeitlich habe ich noch eine Mail erhalten, indem sie sich nochmals bedankt – ihr Kopf ist wieder frei von den Zwangsgedanken.

Hätte Frau B. Naikan gekannt und gewusst, dass sie die drei Fragen an ihr Ungeborenes richten könnte, wäre der Prozess der Befreiung selbstbestimmt, d. h. auch in ihrer eigenen Zeit abgelaufen und wohl zu dem gleichen Ergebnis gelangt. Sie hätte nur vermutlich sehr viel mehr Zeit gebraucht …

 

8. Das Loslassen

Reue verstehe ich nicht als eine Art von kognitiv-emotionaler Selbstzerfleischung, sondern als Herstellung von Wahrheit. Ich bin  zutiefst davon überzeugt, dass das, was Menschen krank macht, Lüge ist, vor allem auch Selbstbelügung. Matthias Ennenbach schreibt:

„Vielleicht müssen wir erkennen, dass wir fälschlich und unnötig zu Idealisten oder Perfektionisten geworden sind. Wenn wir wirklich glauben, alles müsse stets reibungslos und ,richtig‘ ablaufen, wenn wir Störungen und Fehler interpretieren, sind wir Idealisten und Perfektionisten, die eventuell an ihren falschen Idealen zerbrechen können.

Stattdessen erkennen und verstehen wir, dass es völlig normal ist, wenn etwas Schmerzliches geschieht. Dann sind wir vielleicht in der Lage dazu, uns unsere Bewertungen bewusst zu machen und uns zu zügeln, um damit Gelassenheit zu fördern und diese Erste Edle Wahrheit in unserem Leben ganz praktisch umzusetzen.

Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen, sei Folgendes angemerkt: Die Akzeptanz von Leiden in der Welt führt in keiner Weise zur passiven Hinnahme. Wenn ich in einer schwierigen Situation stecke, werde ich alle Energien mobilisieren, um aus ihr herauszukommen. Ich werde jedoch deswegen nicht auch noch hadern, zweifeln oder mit anderen unheilsamen emotionalen Reaktionen zusätzliches vermeidbares Leiden erzeugen.“[41]

Zum vermeidbaren Leiden gehört auch die sogenannte Anhaftung. Dazu zählt nicht nur die Anhänglichkeit an  Besitztümer oder bestimmte Menschen sondern auch an Bewertungen und die daraus folgenden Gefühle.

Genau darin liegt die Gefahr der „unendlichen“ Therapie: gerade wenn man sich – endlich! – respektiert und verstanden fühlt, tauchen frühkindlichen Anhänglichkeitsbedürfnisse auf und damit die Verlockung, sich nicht weiter entwickeln zu wollen; viele Therapeuten gefallen sich dann in dieser weniger anstrengenden Phase der therapeutischen Beziehung und vermeiden das Fortschreiten zur nötigen Rebellion und Ablösung (denn meist sind diese Klienten auch von ihren realen Eltern nicht abgelöst und tauschen jetzt nur ihr Bezugsobjekt), vor allem auch, weil die meist mit Distanzierungsbemühungen und Kritik der Klienten verbunden ist. Es ist ja auch nicht so leicht, Elternersatzfiguren (und ebenso den Eltern) zu sagen „Danke – und ich brauche dich nicht mehr!“ Ich sehe die Tradition des 19. Und frühen 20. Jahrhunderts, Kinder in der sensiblen Zeit der Pubertät von daheim wegzuschicken (egal ob auf Wanderschaft, in den Dienst, auf Reisen oder zu Verwandten) als vernünftigen Versuch der Überbrückung dieser Phase. Heute fehlt sie fast durchgängig und wird von denen, die erkennen, dass seelisches Wachstum angesagt wäre, durch Wechsel des Objekts, des Raumes oder des Verhaltens (schlimm statt brav) gesucht.

Naikan bietet in den drei Fragen eine Struktur des Weggehens und Zurückkommens: man geht in die Distanz (erste Frage) und kommt der Person, auf die man sich konzentriert, wieder nahe – im ersten Schritt (zweite Frage), indem man sich auf sich selbst konzentriert, im zweiten Schritt (dritte Frage), indem man die Perspektive wechselt, denn das muss man, wenn man herausfinden will, was für die andere Person Schwierigkeit bedeutet haben mag.

Fragen fordern Antworten heraus. Wenn man sie verstehen will, muss man aufmachen. Wenn man antwortet, macht man nach der Antwort wieder zu. Einatmen – ausatmen. Pause. Das ist das Prinzip des Stoffwechsels wie auch der Erneuerung. Das eint Naikan und Psychotherapie.

  

9. Literaturangaben

Der leichteren Kontrolle wegen werden die Verlagsnamen angegeben, auch wenn dies unüblich ist.

Armbruster Jürgen/ Petersen Peter/ Ratzke Katharina (Hg.), Spiritualität und seelische Gesundheit. Psychiatrie Verlag, Köln 2013.

Bauer Joachim, Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneurone. Hoffmann und Campe, Hamburg 2005/ (6. Auflage) 2006.

Bölter Detlev, Drei Fragen, die die Welt verändern. Die Naikan-Methode im Kontext von Spiritualität und Psychotherapie.  J. Kamphausen Verlag, Bielefeld 2004.

Ennenbach Matthias, Buddhistische Psychotherapie. Ein Leitfaden für heilsame Veränderungen. Windpferd, Oberstdorf 2010.

Frenzel Peter/ Schmid Peter F./ Winkler Marietta (Hg.), Handbuch der personzentrierten Psychotherapie. Edition Humanistische Psychologie,  Köln 1992.

Fromm Erich/ Suzuki Daisetz Teitaro/ de Martino Richard, Zen-Buddhismus und Psychoanalyse. Suhrkamp, Frankfurt/ M. 1971

Grepmair Ludwig J./ Nickel Marius K, Achtsamkeit des Psychotherapeuten. Springer Verlag, Wien 2007.

Hartl Josef/ Schuh Johanna, Die Naikan-Methode. Einführung von Prof. Akira Ishii. Naikan Zentrum Wien 1998/ 2005.

Jacobi Jolande, Die Psychologie von C. G. Jung. Eine Einführung in das Gesamtwerk. Mit einem Geleitwort von C. G. Jung. Fischer, Frankfurt/ M. 1971/ 82.

Müller-Ebeling Claudia/ Steinke Gerald, naikan. Versöhnung mit sich selbst. J. Kamphausen Verlag, Bielefeld (2. Auflage) 2006

Müller-Ebeling Claudia/ Steinke Gerald, Naikan Praxisbuch 1. Beruf Schule Familie Seelsorge Suchthilfe Strafvollzug. J. Kamphausen Verlag, Bielefeld 2004.

Perner Rotraud A., Der erschöpfte Mensch. Residenzverlag, St. Pölten 2012.

Reiter Alfons / Bucher Anton, Psychologie – Spiritualität – interdisziplinär. Verlag Dietmar Klotz,  Eschborn bei Frankfurt/ M., (2. Auflage) 2009.

Ritter Werner H./ Wolf Bernhard (Hg.), Heilung – Energie – Geist. Heilung zwischen Wissenschaft, Religion und Geschäft. Vandenhoeck & Ruprecht,  Göttingen 2005.

Rogers Carl R., Die beste Therapieschule ist die selbst entwickelte. Wodurch unterscheidet sich die Personzentrierte Psychotherapie von anderen Ansätzen? In: Frenzel et. al. (Hg.), s. o.

Rogers Carl R., Entwicklung der Persönlichkeit. Psychotherapie aus der Sicht eines Therapeuten. Klett-Cotta, Stuttgart 1982/ (4. Auflage) 1983.

Schmid Peter F., Personale Begegnung. Der personzentrierte Ansatz in Psychotherapie, Beratung, Gruppenarbeit und Seelsorge. Echter, Würzburg 1989.

 

Fußnoten

[1] Dazu auch mein historisch-kritischer Überblick in meinem Buch „Der erschöpfte Mensch“, S. 110 ff.

[2] Es soll hier das Verdienst von Reinhard Tausch in der Verbreitung der Arbeiten von Carl R. Rogers im deutschsprachigen Raum nicht geschmälert werden, doch konzentrierte er sich auf das „Verbalisieren emotionaler Erlebnisinhalte“ (kurz VEE) oder auch „Spiegeln“ genannt, was einerseits mehr oder weniger Sprachkompetenz bei Klient wie auch Therapeut voraussetzt und andererseits dort an Grenzen stößt, wo im Sinne Wittgensteins Worte nicht mehr ausreichen – beispielsweise bei spirituellen Erfahrungen (oder traumatischen Erfahrungen aus der vorsprachlichen Lebenszeit).

[3] Ennenbach, S. 207 ff.

[4] Hartl/ Schuh, S. 17.

[5] A. a. O., S. 18.

[6] Müller-Ebeling/ Steinke, Versöhnung. S. 20.

[7] A. a. O., S. 25.

[8] Bölter, S.200.

[9] http://boelters.de – im Moodle zur Verfügung gestellt von Prof. Reiss.

[10] Fromm et. al., S. 105 f.

[11] A. a. O., S. 106.

[12] A. a. O., S. 64.

[13] A. a. O., S. 147.

[14] Rogers in Frenzel et. al., S. 275 ff.

[15] Rogers, S. 276 ff.

Diese werden heute generell von Personen, die beruflich mit Menschen arbeiten, verlangt bzw. als selbstverständlich vorausgesetzt. Dabei wird aber vergessen, dass ein großer Unterschied in der Intensität und Tiefung der Zuwendung eines nach Carl R. Rogers ausgebildeten „personzentrierten“ Gesprächspsychotherapeuten gegenüber einem „klientenzentrierten“ oder einem Sozialarbeiter oder aber auch Seelsorger besteht. Bei Ärzten ohne Psy-Diplom fehlen sie fast immer. Ich selbst bin personzentriert ausgebildet und habe die Bedeutung dessen, was ich in meiner Ausbildung gelernt habe, erst verstanden, als ich mich gegenübersitzend und Kontakt suchend – gottlob erfolgreich – in einen Mann im Zustand der Sprachunfähigkeit einfühlen musste; basierend auf diese Erfahrung habe ich dann meine eigene Technik zur Therapie von Sexualstraftätern entwickelt.

[16] Man findet bei Rogers nämlich noch andere derartige Zuschreibungen, die zu behandeln aber zu weit vom Thema weg führen würde.

[17] A. a. O., S. 144.

[18] A. a. O., S. 142.

[19] Bauer, S. 36 ff.

[20] Fromm et al., S. 160.

[21] Ebd.

[22] So erklärte mir der Gründungspräsident der Wiener Internationalen Akademie für Ganzheitsmedizin, der ehemalige Wiener Gesundheitsstadtrat und international hoch anerkannte Hämatologe, Univ. Prof. Dr. Dr. h.c. Alois Stacher (*1925), das, was heute Komplementärmedizin heiße, war in seiner Jugend „die“ Schulmedizin, während heute statt „Schulmedizin“ eigentlich High-Tech-Medizin gesagt werden müsste.

[23] Perner, S. 110 ff.

[24] Ratschläge zu geben ist für Psychotherapien ein eklatanter Kunstfehler! Hier liegt eine Missinterpretation des Autors oder Übersetzers vor.

[25] „Naikan – Therapie und Transformation“, Gratis E-Book, herausgegeben von Johanna Schuh – Insightvoice Naikan Center Vienna, S. 9 – im Moodle zur Verfügung gestellt von Prof. Reiss.

[26] So erinnere ich mich an eine Klientin, die während des Urlaubs ihres Psychoanalytikers zu mir kam, und bei dem Auflisten ihrer Minderwertigkeitsgefühle berichtete, der Kollege hätte ihr immer wieder versprochen, „er werde eine richtige Frau aus ihr machen“; einem anderen Kollege entschlüpfte, als die Klientin, eine Sozialarbeiterin, die dann zu mir wechselte, in Bezug auf den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater Rachefantasien  äußerte, der entsetzte Vorwurf „Aber das ist doch männerfeindlich!“

[27] Ennenbach, S. 228.

[28] A. a. O., S. 230.

[29] Schmid, S. 53.

[30] Diese „Technik“ wird nur persönlich von Meistern an Schüler weiter gegeben und ist nicht in der Fachliteratur beschrieben – auch deshalb, weil ihr Gelingen sehr vom Atem- und Sprachrhythmus der anleitenden Person abhängig ist und diese darüber hinaus viele Kriseninterventionsmethoden beherrschen muss, weil oft extreme Traumata zum Vorschein kommen – und weil vor allem die Gefahr besteht, dass noch mehr „falsche Propheten“  als ohnehin mit Pseudowissen „Rückführungen“ anbieten.

[31] Bölter, S. 133.

[32] Hier mischt Bölter unzulässigerweise wie ich meine Jung’sches (Urbilder, Archetypen) und Freud’sches (Triebansprüche, Verdrängtes) Gedankengut: nach Freud wird verdrängt, was nicht bewusstseinsfähig ist – z.B. die Ich-Integration gefährden würde – nach Jung ruhen die Urbilder der Seele als quasi Schätze der Selbsterkenntnis in deren Tiefe, die mangels geeigneter Anleitung zu Erkenntnis (z. B. durch Rituale) nicht gehoben werden und nur in Träumen zu glitzern beginnen.

[33] Ebd. f.

[34] Jacobi, S. 20 ff.

[35] Ein tiefes Durchatmen begleitet von einer Aufrichtung des Oberkörpers bei gleichzeitigem Absinken der Schultern.

[36] Ennenbach, S. 223.

[37] A. a. O., S. 225.

[38] A. a. O., S. 226.

[39] A. a. O., S. 20 0 ff.

[40] A. a. O., S. 227.

[41] A. a. O., S. 227.