Rotraud A. Perner
02-01-2013

Die Christuskirche am Matzleinsdorferplatz
und der evangelische Friedhof

 

Exkursion: Kirchen, Museen und Geschichtsdenkmäler in Wien

 

Inhalt:

  1. Ein Friedhof und eine Begräbniskirche
  2. Theophil (von) Hansen
  3. Predigtstelle, Filialkirche, Gemeindekirche
  4. Das Haus – außen und innen
  5. Umbauten, Sanierungen und Vervollkommnungen
  6. Der Friedhof
  7. Literatur und andere Quellen
  1. Ein Friedhof und eine Begräbniskirche

Dort, wo heute die Votivkirche steht, besaßen die evangelischen Gemeinden Augsburger und Helvetischen Bekenntnisses einen eigenen Begräbnisort. 1783 wurde von Kaiser Joseph II. die Verlegung aller Friedhöfe vor die Linien Wiens angeordnet. Den Evangelischen wurde freigestellt, eigene Friedhöfe anzulegen oder ihre Grabstätten mit den fünf außerhalb des Linienwalls angelegten katholischen Friedhöfen zu teilen, och verzichteten die Vorsteher der lutherischen wie auch reformierten Gemeinde und begnügten sich mit Bestattungen auf katholischen Friedhöfen „als Zeugnis ihrer Verträglichkeit und brüderlichen Liebe“[1].

Im Verlauf der Konkordatsverhandlungen 1854 wurde angeregt, die gemeinsamen Begräbnisstätten durch konfessionell getrennte Friedhöfe zu ersetzen, denn der Nuntius nannte als Voraussetzung für den Vertragsabschluss die Lösung des Problems der gemeinsamen Friedhöfe; 1856 legte dementsprechend Kultusminister Thun-Hohenstein einen Verordnungsentwurf vor, der die Errichtung eigener konfessioneller Begräbnisstätten vorsah.

Auf Grund dieser Verordnung bildete das „Vorsteher Collegium der evangelischen Gemeinde A. C.“ dafür ein Komitee aus Superintendent Ernst Pauer (am Matzleinsdorfer Friedhof begraben), Theodor Hornbostel (ebenda begraben) und Hofrat Salm für die lutherische Gemeinde sowie Superintendent Gottfried Franz (ebenda begraben), Hofrat Emerich von Szent-Györgyi und Hermann Bonitz für die reformierte Gemeinde. Sie erwarben von der Gemeinde Wien und der Südbahn Gesellschaft ein Areal von 4 Joch 1076 Quadratklafter Grund, das durch die Schleifung des Linienwalls freigegeben worden war, um 1 Gulden pro Quadratklafter.

Auf dem Grundstück sollte innerhalb einer Steinmauer eine Grabkapelle mit Turm und Glocke, ein Haus für den Totengräber, ein weiteres Gebäude für die Leichenkammer und Arbeitsmaterialien sowie ein marmornes Kreuz errichtet werden, bei einer Kostenaufteilung  entsprechend der Mitgliederzahlen von 3 : 1 zwischen den Konfessionen AB : HB . Da es beiden Religionsgesellschaften an Mitteln fehlte, wurde ein Spendenaufruf erlassen, und bereits 1857 konnte das Komitee berichten, dass man einen Totengräber aufgenommen und die Bestattungstarife festgesetzt habe.

Am 7. Mai 1858 wurden der Friedhof sowie die Schlüssel zu den Friedhofstoren geweiht.

Nach der Teilung des Bezirks Wieden 1861 gehörte der Friedhof zum neuen Bezirk Margareten; 1874 erfolgte die Ausgliederung der jenseits des Gürtels gelegenen Gebiete in den neu geschaffenen Bezirk Favoriten.

Am 16. Jänner 1873 forderte Johann Steudel, inoffizieller „Bürgermeister der Siedlung“, während einer Sitzung der Wiedener Bezirksvertreter die Errichtung einer Filialkanzlei vor der Favoritenlinie. Am folgenden 3. März stellte Steudel erneut einen Antrag – diesmal auf Schaffung eines eigenen neuen Wiener Gemeindebezirks, der aber mit der Begründung abgelehnt wurde, dass weder der 4. noch der 5. Bezirk das dringende Bedürfnis nach Abtretung von Gebietsteilen an einen neuen Bezirk hätten, doch wurde diese infolge des Drucks der „Favoritner“ am 18. Juli in einer Plenarsitzung des Gemeinderats beschlossen, aber erst am 22. Mai 1874 war man sich nach zähen Verhandlungen mit den Bezirksvertretern von Landstraße, Wieden und Margareten über die neuen Bezirksgrenzen einig, sodass  am 27. September 1874 das Gebiet zwischen Ost- und Südbahn bis zur Inzersdorfer Straße und gegen das Arsenal hin mit 940 Häusern und 26.789 Menschen von der Statthalterei als neuer Bezirk genehmigt werden konnte.

 

  1. Theophil (von) Hansen

Theophil Edvard Hansen wurde am 13, Juli 1813 in Kopenhagen als Sohn einer norwegischen Violonisten und Versicherungsangestellten Rasmus Hansen Braathen und der Dänin Sophie Elisabeth Jensen geboren. Er studierte Architektur an der Königlichen Kunstakademie in Kopenhagen aber auch bei Friedrich Schinkel in München und in Wien, bis er 1838 nach Athen gelangte, wo einer seiner fünf Geschwister, Hans Christian Hansen (1803 – 1883) ebenfalls als Architekt wirkte. Dort beschäftigte sich Theophil Hansen mit byzantinischer Architektur aber auch mit Ausgrabungen. Beginnend mit der Sternwarte von Athen zählen die Universität und die Akademie der Wissenschaften zu seinen wichtigsten Werken in Griechenland.

1846 holte der griechisch-österreichische Bankier Simon von Sina Theophil Hansen nach Wien um seine Bauvorhaben „im griechischen Stil“ zu verwirklichen. Hansen war zuerst Mitarbeiter (und kurzfristig auch Schwiegersohn, da dessen Tochter bald nach der Eheschließung verstarb)  von Ludwig Förster bevor er sich selbständig machte.

In Wien zeugen etliche Prachtbauten von Hansens Kreativität. Vor allem bevorzugte er die Backsteinbauweise in zweifärbiger Ausführung mit byzantinischen Stilelementen, zu sehen an der Griechenkirche am Fleischmarkt (1856 – 1860), dem heeresgeschichtlichen Museum im Arsenal (1850 – 1856) nach dem Vorbild des 1104 errichteten Arsenal in Venedig, die Christuskirche auf dem Matzleinsdorfer Friedhof (1858), das Palais Epstein (1868 – 1872), das Gebäude des Wiener Musikvereins (1867 – 1870), die Akademie (heute Universität) der bildenden Künste am Schillerplatz (1871 – 1876), die Börse Wien (1874 – 1877) und die Evangelische Schule am Karlsplatz (1861).

Klassizistisch hingegen zeigen sich Schloss Hernstein (1856 – 1880) und als bekanntestes seiner Bauwerke das einem griechischen Tempel angeglichene Parlament (1874 – 1883).

1863 wurde Hansen Ehrenbürger der Stadt Wien, 1868 Professor an der Akademie der bildenden Künste  und 1884 in den Freiherrenstand erhoben. Am 17. Februar 1891 starb Hansen in Wien. Hansen gehört zu den Prominenten, die ursprünglich am Matzleinsdorfer Friedhof beerdigt waren, aber von der Gemeinde Wien aus Prestigegründen in ein Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof (Gruppe 14 A, Nummer 20) verlegt wurden. In Wien Innere Stadt wurde 1894  die Hansenstraße und in Wien Liesing 1928 die Theophil-Hansen-Gasse nach ihm benannt.

 

  1. Predigtstelle, Filialkirche, Gemeindekirche

Schon zu Zeiten der Reformation war ein Teil des heutigen Favoritens (bei Inzersdorf) unter dem Patronat der Familie Geyer ein evangelisches Zentrum, aber erst mit der Errichtung des evangelischen Friedhofs am Matzleinsdorfer Platz 1856/57 samt Grabkapelle mit Turm und Glocke, einem Haus für den Totengräber und einem weiteren Haus für die Leichenkammer und die Gerätschaften wurde die protestantische Präsenz öffentlich manifest.

Exkurs: Bei Wilfried Konnert heißt es: „Vor dem Beginn der großen Industrialisierung wurde 1879 der katholische Matzleinsdorfer Friedhof für Neubelegungen geschlossen. Zu dieser Zeit zählte Favoriten bereits 52 136 Einwohner.“[2]An dessen Stelle befindet sich heute der Waldmüllerpark. Diese Verlegung hatte auch gefährdende Überlegungen hin sichtlich der Notwendigkeit eines evangelischen Friedhofs zur Folge, doch konnte eine Absiedelung verhindert werden.

Im Frühjahr 1894 wandte sich der Wiener Protestantenverein an das Presbyterium mit dem Ersuchen um die Gestattung regelmäßiger Gottesdienste in der Kapelle und legte gleichzeitig Umbaupläne zwecks Einbaus von Emporen, eines Altars und einer Kanzel vor.

Am 24. September 1899 erfolgte die neuerliche Kirchweihe durch Pfarrer Julius Antonius.

Bis 31. Dezember 1923 war die Gemeinde Predigtstelle der Pfarrgemeinde Wien – Landstraße.

Ab 1. Januar 1924 wurde die Christuskirche als Predigtkirche für Favoriten selbständig.

 

  1. Das Haus – außen und innen

Theophil Hansen, dessen Werke nicht nur an Bauten der griechischen Klassik, sondern auch an orientalische Bauwerke erinnern, scheint bei dem Bau dieser Begräbniskapelle vom Tadsch Mahal[3] (um 1650) mit seiner Kuppel und den vielen kleinen Türmchen inspiriert worden zu sein. Auch die Christuskirche besitzt eine quadratische Haupthalle und die Breite des Gebäudes scheint der Höhe zu gleichen, ebenso wie die Laterne an der Spitze gleich hoch ist wie die Kuppel. Symmetrie bewirkt Ruhe. Sie wird auch durch die beiden Nebengebäude und das der Kirche vorgelagerte Rundbeet, unter dem unbekannte Tote bestattet liegen, vermittelt.

Über dem Eingang thront ein Turmaufsatz mit zwei Glocken, gekrönt von einem goldglänzenden Kreuz in der Mitte und umgrenzt von vier kleinen Terrakottatürmchen. Von den beiden Glocken, die von Josef Pfundner gegossen wurden, trägt die linke die Inschrift „Trachtet nach dem, was droben ist“ (Kol 3,2) und die rechte Glocke „Ehre sei Gott in der Höhe, 1925“.

Insgesamt besitzt die Christuskirche noch zwölf gleich aussehende, aber größere Türme sowie die Laterne auf dem Mittelpunkt der Kuppel und weist damit auf die zwölf Apostel und Jesus Christus hin.

Der Eintritt in die Kirche erfolgt vom Westen her und richtet sich gen Osten – hinein zum Licht quasi vom Tod zur Auferstehung.

Das auf Goldgrund ausgeführte Tympanonfresko, das einen Engel am Grab Christi zeigte und als Geschenk von dem Maler, Radierer, Kupferstecher und Professor für Historienmalerei an der Wiener Akademie der schönen Künste, Karl Rahl (1812 – 1865), stammte, wurde 1899, als die Begräbniskapelle zur Gemeindekirche umgebaut wurde, durch ein Mosaik ersetzt (laut Czeike und Dehio nur verdeckt); es stellt Jesus mit willkommend und segnend ausgebreiteten Händen, ebenfalls auf Goldgrund, vor  einem Spruchband „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid“ (Mt11,28) dar und passt solcherart besser über den Eingang einer nunmehr Predigtkirche. Der Urheber dieses Kunstwerks ist bislang unbekannt.

Ursprünglich hätten auch die Bögen mit Engeln ausgemalt werden sollen.

Mehrfach erweist sich auch hier wieder die Vorliebe Theophil Hansens für zweifärbigen Sichtziegeleinsatz bei seinen Bauten. Unwillkürlich wird man an die maurischen Elemente der Kathedrale von Córdoba[4] erinnert aber auch an die Gelb-Rot-Kombination in der Kleidung buddhistischer Mönche. Die gelben und roten Ziegeln des Mauerwerks der drei Gebäude stammen von den Inzersdorfer Drasche-Gründen; der Ziegelbaron Drasche war einer derjenigen Industriellen, den der Arzt Dr. Viktor Adler und die ersten sozialdemokratischen Gewerkschafter wegen seiner unbarmherzigen Ausbeutung der zumeist böhmischen Arbeiter und Arbeiterinnen besonders bekämpfte. Heute sind Drasche-Ziegel – erkennbar aus dem eingeprägten Doppeladler – wegen ihrer Festigkeit und Witterungsbeständigkeit bei Kennern hochbegehrt und hochgelobt; dieses Lob wird dem erfolgreichen Unternehmer gespendet – den Leuteschinder aber vergisst man. Das soll hier in Erinnerung gerufen werden.

Auch sämtliche Gesimse und Ornamente der Kapelle bestehen ebenso aus gebranntem Ton aus dem Draschewerk.

Große Bögen und Kuppeln wären erst in hellenistischer und römischer Zeit entstanden, schreiben Humphrey / Vitebsky, von wo aus sie sich in christlichen und islamischen Stilen verbreiteten; ihr Anstieg erzeuge sowohl horizontale wie vertikale Kräfte, so dass ein Teil ihres Gewichts in den Mittelpunkt verlagert wird und die beiden Krümmungen des Bogens einander gegenseitig stützen.[5] Wird auf diese Weise eine Kuppel gebildet, so entspricht dies der menschlichen Anschauung vom Himmel, meinen die beiden Autoren, und betonen, die Kuppel dominiere und definiere die Gestalt des Innenraums: „Die Betonung liegt nicht auf Masse oder Fläche, sondern auf dem Raum selbst, der von einer schwebenden Kuppel auszugehen scheint, so wie in der christlichen Theologie der Himmel zur Erde herabsteigt.“.[6]

Unter dieser Kuppel, die von vier romanischen Säulen mit dorischen Kronen getragen wird und die die vier Elemente symbolisieren sollen, standen die Trauergäste der Toten, welche im heutigen Altarraum aufgebahrt worden waren. Wenn man den Blick nach oben richtet, sieht man an den vier Eckpunkten des Trapezes, das die Rundung der Kuppel umgrenzt, Mosaikbilder der vier Evangelisten, die mit ihren Symboltieren ausgewiesen sind: Markus mit dem Löwen symbolisiert Stärke und Königtum, Lukas mit dem Stier das Priestertum, Matthäus mit dem Engelmenschen die Menschwerdung Christi und Johannes mit dem Adler verweist auf das Herabkommen des Heiligen Geistes.

In ihrem ursprünglichen Zustand war diese Kuppel vermutlich in dunklerem Himmelsblau (wie die Kuppel auch außen diese Farbe aufweist) mit Sternen und Engeln ausgemalt – zumindest legt dies eine Zeichnung Theophil Hansens nahe. Wenn dies so war, so wurde dieser Engelschor im Zuge der Umbauten und Renovierungen mit weißer Ölleimschicht übertüncht und damit zerstört. Es wird allerdings vermutet, dass möglicherweise eine Abtragung der jetzigen Tünche Klarheit schaffen könnte.

„Grabarchitektur will die Bedürfnisse der Toten und die emotionalen Anliegen der Lebendigen erfüllen.“, schreiben Humphrey / Vitebsky, und können daher beispielsweise nicht nur mit Abbildern der Verblichenen, sondern auch mit Statuen weinender Figuren geschmückt sein.[7] In der Christuskirche sind es vielfache Formen mit gefalteten oder über der Brust gekreuzten Händen betender Engel; bei den Galionsfiguren gleichenden Holzengeln, die den Eintretenden zur Seite „fliegen“, hält einer links dazu noch – verkündigend? – die  Schrift in Händen, einer rechts erscheint in segnender – oder heilender? – Handhaltung.

In den von mir verwendeten Unterlagen wird dieser Engel als „lehrend“ bezeichnet. Ich ersehe dies aber nicht aus der Handhaltung – die linke Hand auf dem Herzen, die rechte über dem gesenkten Haupt – sondern kenne diese rituelle Geste als Handhaltungen zur Lenkung des Heiligen Geistes zur Krankenbehandlung, in diesem fall wohl zum Beistand der Trauernden.

Auch ist zu überlegen, ob der „lesende“ Engel wirklich verkündigt – oder ob er nicht in das  „Buch des Lebens“ blickt, nach dem jeder Mensch seinen Werken gemäß gerichtet werden wird (Offenbarung 5,1-4; 20, 12-15).[8] Ein derartiger Bezug wäre wohl bei einer Friedhofskapelle angemessen.

Insgesamt findet man in der Kirche 35 Engelsfiguren; sie begleiten den Besucher vom Eingang bis unter die Kuppel.

 

  1. Umbauten, Sanierungen und Vervollkommnungen

Ursprünglich als Friedhofskapelle erbaut, besaß die Christuskirche weder Emporen noch eine Kanzel und auch keine bunten Glasfenster wie sie heute das Gestühl umrahmen. Allerdings ließen Reste von Buntverglasungen der Kuppelfenster und des Fensters hinter der Orgel darauf schließen, dass zumindest ein Teil der Fenster farbig gewesen war. Man  nimmt aber an, dass diese bald durch milchweiße Gläser ersetzt worden waren.

1899, als die Gemeinde so groß war, dass man den Beschluss, aus der Kapelle eine eigene Pfarrkirche zu machen, nicht mehr weiter hinauszögern konnte, musste eine Kanzel und eine Empore eingebaut werden: dazu wurde eine Gruppe von Rundsäulen gegossen, die die beiden Emporen tragen, und ein Kanzelaltar hinter dem großen Kreuz bis zum Fenster eingerichtet, der durch eine darunter und hinter liegende neu eingebaute Tür in der Apsis erreichbar war. Im Zuge der Behebung der Kriegsschäden in den 1950er Jahren bot sich auch eine Umgestaltung des Altarbereichs an, wie es den damaligen Überlegungen zu mehr Nähe und Gemeinschaft mit dem Kirchenvolk entsprach. Auch wurde in dieser Zeit die Bankheizung eingebaut; allerdings übersiedelt die Gemeinde bei extremer Kälte doch in den Gemeindesaal. Ab 1968 begann man, neue Kirchenfenster einzusetzen; zugleich wurde das große Kreuz auf das Stirnfenster der Apsis gesetzt, die Kanzel-Zugangs-Tür beseitigt und der dahinter befindliche Anbau nur mehr von außen begehbar für Abstellzwecke genutzt.

Vor allem im Zweiten Weltkrieg wurde die Christuskirche bedingt durch die Nähe zum Wiener Südbahnhof und die knapp an ihr vorbei führenden Bahngleise durch Bombardements arg in Mitleidenschaft gezogen; vor allem viele Schindeln der Kuppel und fast alle Fensterscheiben wurden zerstört, nur ein einziges Fenster ganz oben mit der Lutherrose blieb heil! So konnte aus den restlichen Scherben die rubinrote Farbe der inneren Fensterumrahmungen erschlossen werden, sodass heute alle Fenster, die nicht künstlerisch gestaltete Buntglasfenster sind, diese rubinroten Glastreifen rund um das heute eingesetzte Opalglas (das mehr Licht durchlässt) aufweisen. Dieses Rubinrot wiederholt sich auch in dem erst Ende des 20. Jhdt. erneuerten Teppich, der vom Eingang zum Altar führt und die Apsis auslegt.

Die Farbe dieses Teppichs wurde in Auswahl etlicher Nuancen gemeinsam mit den Gemeindemitgliedern ausgesucht; durch seinen leichten Stich ins Violette soll er für die Begegnung mit dem Gotteswort, dem Übernatürlichen und den unsichtbaren Begleitern offen machen. Er liegt auf einem Boden aus hochpolierten hellen Terrakottafliesen; original war der Boden aus niederösterreichischen Kalkplatten gefertigt.

Von den elf derzeit zu bewundernden Glasfenstern zeigen alle Motive aus biblischen Geschichten, in denen es darum geht, wie jemand vom Tod zum Leben geführt wird. Die drei in der Apsis sowie die jeweils zwei ersten links und rechts vom Altarraum wurden etwa zwischen Ende der 1960er und Beginn der 1970er Jahre von Prof. Günther Baszel (1902 – 1973) geschaffen; da er vor der Komplettierung verstarb und auch keine Entwürfe vorlagen, wurden die ihnen jeweils nachfolgenden zwei Fenster links und rechts im hinteren Kirchenschiff nach seinem Tod von Prof. Eduard Bauernfeind in gleicher Motivwahl und angeglichenem Stil entworfen und ausgeführt. Die beiden ersten wurden 1989, die beiden letzten 1990 eingesetzt.

Das mittlere der drei schmalen Fenster in der Apsis stellt die Kreuzigung dar, das Fenster links davon, wie das neugeborene Jesuskind auf dem Schoss Mariens im Stall von einem Engel gesegnet wird (Weihnachtsgeschehen), das Fenster rechts hingegen bildet den auferstandenen Christus ab, wie er der Grabhöhle entsteigend von zwei Engeln erwartet wird (Ostergeschehen). Durch die Einsetzung dieser Gruppe hoher schmaler Glasfenster wurde die ursprüngliche Ausgewogenheit des Raumes wiederhergestellt – war doch Ende des 19. Jahrhunderts zum Zweck des Einbaus der Kanzel das Mittelfenster zugemauert und darunter eine Außentür zum Zugang eingebaut worden, welche nun wieder beseitigt wurde. Außerdem konnte durch die Komposition einer Dreiteilung – jeweils zwei oben abgerundete Fenster in einem Alkoven[9], der ebenfalls oben mit einem romanischen Rundbogen abschließt und der die Rundungen wiederholt, die auch der Durchgang zur Apsis bzw. die Zugänge zu den beiden Gestühlsreihen aufweisen, die durch den Einbau der Galerie entstanden sind – mit nur unwesentlich schmälerem Mauerwerk dazwischen die ehemals kritisierte Blendung durch die Morgensonne hintan gehalten werden.

Da die Fenster der Apsis so schmal sind, wurde das hölzerne Kreuz auf die Mitte des Mittelfensters platziert und später ein Corpus Christi aus Kupfer darauf angebracht. Bei dieser Skulptur sind die hoch nach oben gestreckten Arme auffallend, stehen sie doch im Gegensatz zu den fast waagrecht gespannten Armen des Kruzifixes auf dem Altar. Man könnte interpretieren, dass die hoch nach oben gereckten Arme in Kommunikation zu Gottvater stehen, die waagrechten hingegen in Kommunikation zur Gemeinde und damit wieder das Thema von Gott zur Auferstehung wiederholt wird.

Die Fenster der linken Seite des Kirchenschiffs (vom Eingang her gesehen) zeigen, vom Altar aus Richtung Eingang gereiht, folgende biblische Themen:

  • Die Auferweckung des Lazarus (Joh 11, 1 – 45) von Prof.Baszel.
  • Die Auferweckung des Jünglings von Nain (Lk 7, 11 – 16) von Prof. Baszel.
  • Die Erweckung des Sohnes der Schunemiterin durch den Propheten Elisa (2. Könige 4, 32 – 37) von Prof. Bauernfeind.
  • Die Erweckung des Eutychus (Apg 20, 7 – 12) von Prof. Bauernfeind.

Auf der rechten Seite kann  man erkennen:

  • Der reichen  Mann und der arme Lazarus (Lk 16, 19 – 31) von Prof. Baszel.
  • Die Auferweckung der Tochter des Jairus (Mk 5, 35 – 43) von Prof. Baszel.
  • Die Auferweckung der Tabita (Apg 9, 36 – 41) von Prof. Bauernfeind.
  • Die Predigt der Apostel Petrus und Johannes (Apg 5, 29 – 33) von Prof. Bauernfeind.

Hier fällt auf, dass Prof. Bauernfeind in der Wahl der von ihm künstlerisch gestalteten Fenster Motive ausgewählt hat, die nicht in den Evangelien vorkommen; ich vermute, dass damit einerseits eine Gewichtung von der Auferstehung Christi über dessen Auferweckungswirken zu den Wundertaten seiner Vorgänger und Nachfolger, andererseits aber auch ein Respektsabstand zum Werk von Prof. Baszel demonstriert werden sollte.

Weiters wurden bei der Innenrenovierung und Neugestaltung der Fenster auch die dunklen marmornen Gedenktafeln für die Toten des Ersten Weltkriegs und auch die neuen hellen für die Toten des Zweiten Weltkriegs nach hinten neben die Eingangstür in das Kirchenschiff verlegt. Bei der nächsten Renovierung 1974 wurde nicht nur neu ausgemalt, sondern auch eine Bankheizung eingebaut und eine Schwerhörigenanlage angeschafft. Allerdings zeichnet sich die Christuskirche von Anbeginn an durch eine besonders wirksame Akustik aus. Die Optik der Kirche hat dadurch keinerlei Schaden erlitten – die Neuerungen sind unsichtbar.

1997 war das Jahr, in dem die Neugestaltung der Fenster auf der Empore aus Opalglas mit rubinrotem Rand begonnen wurde, und gleichzeitig wurde die alte Orgel abgetragen und der Orgelbauer Wolfgang Karner mit dem Neubau beauftragt.

An der neuen Orgel beeindruckt nicht nur, dass die Anordnung ihrer Pfeifen wiederum Engelsgestalt aufweist, sondern sie besitzt auch die Besonderheit, dass sie dreißig verschiedene Holzarten vereinigt; so besteht etwa das Corpus aus der „gemeinen“ Fichte, die Tasten hingegen sind aus dem „außergewöhnlichen“ Walnussholz geformt. Auch das rubinrote Glas der kleineren Kirchenfenster, die den Aufgang zur Orgel sicher machen, und der größeren der Kuppel, und das extra aus den USA bestellt werden musste, findet sich in Orgeldetails wieder und bilden Spiegelungseffekte mit den übrigen Fenstern.

Rund um die Orgel schauen wiederum betende Engel aus Steinguss dem Organisten bei Spiel zu – weshalb aber ein einziger von ihnen abweichend sein Gewand lüpft, harrt bislang einer Erklärung.

Nach zehn Jahren Orgelbau konnte die neue Orgel 2007 in Betrieb genommen werden.

Im Zuge der Renovierungen wurden auf dem Eingangstor aus Eichenholz insgesamt sieben Farbanstriche entfernt und auf Betreiben des Bundesdenkmalamts die Originalfarbe wiederhergestellt – ein eigenartiges Rosa, das dem von Zelluloidpuppen ähnelt und bereits wieder Risse aufweist. Die Beschläge des Tores sind schwarz gehalten. Ein Versuch, das Naturholz des Tores frei zu legen und mit Beschlägen aus Goldbronze dem Gesamtbild der Kirche anzupassen, scheiterte am Einspruch des Amtsexperten – obwohl wohl nicht nachgewiesen werden kann, ob nicht der erste Anstrich bereits eine Übertünchung von Beschmutzungen oder anderwärtigen Beschädigungen des Originals gewesen wäre.

Erwähnenswert ist noch, dass 1998 die Dachlaterne wieder montiert werden konnte; ihre oberste Spitze ist vergoldet und darin eingeschlossen eine Urkunde mit den Unterschriften der für die Sanierung Verantwortlichen.

 

  1. Der Friedhof

Im 16. und 17. Jahrhundert diente der kaiserliche Gottesacker vor dem Schottentor (nächst der heutigen Votivkirche Richtung altes AKH) auch als Bestattungsort für den Großteil der Wiener Protestanten, bis  1856 konfessionelle Friedhöfe vorgesehen wurden.

Außer dem Matzleinsdorfer Friedhof, der ein Areal von 49.500 Quadratmetern mit rund 7.500 Gräbern umfasst, wurde 1858 noch der evangelische Friedhof Simmering eingeweiht, allerdings 1876 im Zuge der Anlegung des Zentralfriedhofs dessen Auflassung verfügt; durch den dagegen eingebrachten Rekurs kam es zu einer Aktenverschleppung, sodass erst 1897 mit der Aufforderung, die Belagsverhältnisse sowie eine Zukunftseinschätzung bekannt zu geben, ein nächster Schritt gesetzt wurde. Ein Erweiterungsantrag wurde zwar 1900 abgelehnt, dennoch wurden 1903 elf Joch Grund teils auch durch Grundstückstausch dazu erworben. Erst 1978 wurde der Weiterbestand des Friedhofs auf unbestimmte Zeit genehmigt und seitdem erst von dauerhafter Ruhe für diesen Totenruheplatz gesprochen werden.

Anders der Matzleinsdorfer Friedhof; er beansprucht nicht nur durch seine Naturdenkmäler – drei Hängeeschen und eine achtzig Jahre alte Atlaszeder in Zwillingsform – sondern von Beginn an durch die Grabstätten berühmter Menschen besondere Aufmerksamkeit, so sehr, dass die Gemeinde Wien für die Belegung des neu eingerichteten Zentralfriedhof (1904) berühmte Persönlichkeiten aus allen damals existierenden innerstädtischen Friedhöfen exhumieren ließ, um sie auf dem Zentralfriedhof rechts und links von der Hauptallee wieder beisetzen zu lassen.

Die international berühmtesten Toten auf dem Matzleinsdorfer Friedhof sind wohl der Philosoph Otto Weininger und der Dichter Friedrich Hebbel sowie die Burg- und auch Filmschauspielerin Adele Sandrock.

Otto Weininger (1880 – 1903) profilierte sich mit seiner radikalen philosophisch-psychologischen Theorie über die menschliche Bisexualität, „Geschlecht und Charakter. Eine prinzipielle Untersuchung“, in dem er trotz seiner jüdischen Herkunft – er war erst nach seiner Promotion zum evangelischen Glauben konvertiert – eine extrem judenfeindliche sowie frauen- und körperfeindliche Geisteshaltung vertrat. Es war der überarbeitete Text von Weiningers Dissertation „Eros und Psyche“, für deren Veröffentlichung er sich lange erfolglos bemüht hatte – u. a. auch bei Sigmund Freud. Da auch nach der Publikation bei Braumüller & Co sich nicht der erhoffte Sensationserfolg einstellte, ihm sogar den Vorwurf eines Plagiats einbrachte, verfiel Weininger in tiefe Depression;  etwa vier Monate nach diesen gehäuften Frustrationen erschoss sich Weininger in einem gemieteten Zimmer in Beethovens Sterbehaus.

Friedrich Hebbel (1813 – 1863) galt als der größte Dramatiker des Realismus; der Sohn eines Maurers aus dem Dithmarschen konnte nach ärmlichen Studentenjahren ab seinen ersten Bühnenerfolgen mit den romantisierenden Stücken „Judith“ und „Genoveva“ dank eines Reisestipendiums des dänischen Königs Christian VIII. nach Paris, Rom und schließlich Wien gelangen, wo er die Burgschauspielerin Christine Enghaus (1817 – 1910) ehelichte. In Wien entstanden auch die berühmtesten Werke Hebbels, „Herodes und Mariamne“, „Agnes Bernauer“, „Gyges und sein Ring“, „Die Nibelungen“ und „Demetrius“. Er verfasste aber auch geschichtliche und ästhetisch-kritische Schriften sowie Gedichte.

Trotz fast vierzigjährigem Überleben liegt Christine Hebbel an seiner Seite begraben und ist auf dem Grabstein in der Darstellung eines (vom Blick aus) leicht nach rechts geneigten aufgeschlagenen Buches mit beiden Namen nur minimal tiefer gesetzt.

Adele Sandrock (1864 – 1937) ist dem Andenken der Nachwelt vor allem in ihrer Rolle als Fürstin in dem frühen Tonfilm „Der Kongress tanzt“ mit Lilian Harvey und Willi Fritsch bewahrt. Weniger bekannt ist, dass sie die Geliebte u. a. von Arthur Schnitzler und Alexander Roda Roda war; sie blieb aber ihr Leben lang unverheiratet. Das Grabmal, für das ihre Schwester Wilhelmine (1861 – 1948), ebenfalls Schauspielerin und nach Adeles Tod deren Biografin, verantwortlich zeichnete, zeigt die beiden Frauen in antikisierenden Posen, die Diva Adele dominant, die getreue Wilhelmine als ihre Dienerin.

Ein ähnlich eindrucksvolles bildhauerisch gestaltetes Grab ließ sich schon zu Lebzeiten der seinerzeit berühmte Arzt Hermann Nothnagel (1841 – 1905) errichten: sich selbst in antiker Gewandung darstellend und mit dem Spruch „Nur ein guter Mensch ist ein guter Arzt“ verewigt. Nothnagel ist vor allem durch seine Erkenntnisse hin sichtlich der Bedeutung des Blutkreislaufs respektiert; er gründete aber auch die Gesellschaft für Innere Medizin. Ihm zu Ehren wurde eine Büste von Richard Kauffungen im Arkadenhof der Wiener Universität aufgestellt, in Favoriten erinnert der Nothnagelplatz an ihn.

Nicht unerwähnt sollen aber auch die Volksschauspielerin Josefine (Pepi) Gallmeyer (1838 – 1884) oder der Burgschauspieler Ludwig Gabillon (1828 – 1896) bleiben.

Josefine Gallmeyer (1838 – 1884) wurde zwar in Leipzig geboren und debütierte in Brünn und tourte sogar in Amerika; sie galt als größte und typische Wiener Volksschauspielerin, aber auch als flatterhaft und verschwendungssüchtig. Bekannt ist auch, dass Jacques Offenbach, von dem sie gerne eine spezifische Rolle komponiert bekommen hätte, sich hartnäckig dagegen verweigerte. Gallmeyer gehört zu den Prominenten, deren letzte Ruhe am Matzleinsdorfer Friedhof durch Verlegung in ein Ehrengrab am Zentralfriedhof gestört wurde.

Auch der k.u.k. Hofschauspieler Ludwig Gabillon (1828 – 1896) stammte aus Deutschland; seine Engagements führten ihn bis nach London. In der breiten Bevölkerung vergessen, genießt Gabillon (der in zweiter Ehe mit der ebenfalls am Matzleinsdorfer Friedhof bestatteten Schauspielerin Zerline Würzburg (1835 – 1892) verheiratet war) in Bühnenschauspielerkreisen hohe Anerkennung.

Exkurs: Die Witwe meines Onkels, des Kammerschauspielers Romuald Pekny (1920 – 2007), die Schauspielerin und Regisseurin Eva Petrus-Pekny und deren beider Adoptivtochter, die Schauspielerin Adelheid Picha, leben in Gabillons Haus am Grundlsee und beleben es unter dem Namen „Die Arche am Grundlsee“ durch Vorträge und Dichterlesungen in Gabillonischem Geist; so durfte auch ich dort erstmals im Sommer 2012 einen Vortrag halten.

Weitere Schauspieler und Schauspielerinnen, die am Matzleinsdorfer Friedhof begraben liegen, sind Heinrich Anschütz (1785 – 1865), der es auch war, der 1827 am Grabe Beethovens die Trauerrede Grillparzers gehalten hatte und an den die Anschützgasse im 15. Bezirk erinnert, Friedrich Beckmann (1803 – 1866), das Schauspielerehepaar Elise (1809 – 1889) und Carl Fichtner (1805 – 1871), Carl Adolf Friese (1831 – 1900), Burgschauspielerin Amalia Haizinger (1800 -1884), die Burgschauspieler Conrad Hallenstein (1834 – 18929 und Hans von Hitzinger (19892 – 1945) sowie Dr. August Förster /1828 – 1889), der erste Direktor des neu erbauten Hauses am Ring, oder auch der studierte Theologe, Schriftsteller (9 Bände über den 30jährigen Krieg!) und Theaterdirektor Heinrich Laube (1806 – 1884), dessen Andenken mit dem Laubeplatz im 10. Bezirk verewigt wurde, das Schauspielerehepaar Julie (1809 – 1866) und Carl Rettich (1805 -1878), an die die Rettichgasse im 14. Bezirk erinnert, oder der Schauspieler und Burgtheater-Regisseur Carl Ritter von La Roche (1794 – 1884).

Nicht vergessen werden soll auch der Journalist der Arbeiterzeitung, Mitglied des k.u.k. Reichsrats, Stadtrat und Vizebürgermeister von Wien und (gemeinsam mit Josef Afritsch) Begründer der Kinderfreunde Max Winter (1870 – 1937); von ihm stammt u. a. Bücher wie „Im dunkelsten Wien“ 1902,  „Das Goldene Wiener Herz“ 1905 oder „Die Blutsauger des Böhmerwaldes“ 1908. Unter dem Titel „Das schwarze Wienerherz“ gab der Kärntner Autor Helmut Strutzmann 1982 eine Auswahl von Winters „Sozialreportagen aus dem frühen 20. Jh.“ heraus. Im 2. Bezirk wurde 1949 der Sterneckplatz in Max-Winter-Platz umbenannt.

Exkurs: Da sich auf diesem Platz die Wohnungen meiner Großeltern väterlicherseits sowie der Schwester meines Vaters befanden, musste ich als Kind von „die Großeltern vom Sterneckplatz“ auf „die Großeltern vom Max-Winter-Platz“ umlernen, was mir damals gar nicht gefiel: Sterneck klang so schön nach „Sternchen…

Durch die Ada-Christen-Gasse im Süden von Favoriten verewigt, am Matzleinsdorfer Friedhof begraben, lebte die unter diesem Pseudonym bekannte ebenfalls sozialkritische Dichterin Christiane Frederik-Breden (1844 – 1901) von 1891 bis zu ihrem Tod 1901 verarmt und weitgehend ignoriert im 10. Bezirk; sie hatte vor allem durch ihren Roman „Jungfer Mutter“ in den 1870er Jahren großes Aufsehen erregt.

Weitere Schriftsteller, die hier ihre letzte Heimat gefunden haben, sind Karl Beck (1817 – 1879), der ungarische Landschaften und Bräuche schilderte; Emil Ertl (1860 – 1935), Bibliothekar der Grazer Technischen Universität, der mit einer Arbeit über den Utilitarismus als Philosoph promovierte, wird vor allem mit seinen Büchern „Freiheit die ich meine“, Die Leute vom blauen Guckguckshaus“ und „Peter Rosegger. Wie ich ihn kannte und liebte“ erinnert; Carl Karlweis (Geburtsname Karl Weis) (1850 – 1901), der in seinen Romanen das Wiener Kleinbürgertum schilderte, und sein Sohn Oskar Karlweis (1894 – 1956), der allerdings Schauspieler wurde. Auch Richard Plattensteiner (1878 – 1956), von dem das „Lied vom Steffl“ stammt, liegt am Evangelischen Friedhof, oder der Satiriker Moritz Saphir (1795 – 1858).

An Malern beherbergt der Friedhof den Landschaftsmaler Hugo Darnaut (1850 – 1937), Johann Georg Glaeser (1822 – 1897), Ernst Hochschartner (1877 – 1947), der vor allem durch seine Kirchengemälde hervorstach, Oscar Spatzek (1888 – 1932), an Bildhauern Emanuel Minarik (1859 – 1935) oder Rudolf Schröer (1864 – 1904).

Auch bekannte Architekten sind auf dem Matzleinsdorfer Friedhof begraben worden wie der wohl bekannteste Baukünstler der Ringstraßenzeit, Carl Freiherr von Hasenauer (1833 – 1894), der allerdings in ein Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof verlegt wurde. An ihn erinnert die Hasenauerstraße im 18. Bezirk oder  Wolfgang Hornbostel (1848 – 1879), der Sohn des Mäzens des Matzleinsdorfer Friedhofs oder Emil Ritter von Förster (1838 -1909), der Erbauer des durch eine Brandkatastrophe zerstörten Ringtheaters; leider wurde sein Grab vernachlässigt und neu belegt, seine Gebeine befinden sich jedoch noch am gleichen Ort. Auch der Erbauer der Brenner- und der Gotthardbahn, Ing. Wilhelm Hellwag (1827 – 1882), hat hier sein Grab.

Aber auch Musikergräber finden sich wie das des Tonkünstlers Franz Buichl (1910 – 1962), oder von Charles Weinberger (1861 – 1939), der über 20 Operetten komponierte, das von August Mittag (1795 – 1867) und auch das des Militärkapellmeisters(1868 – 1905).

An Wissenschaftlern finden sich der Paläontologe Dr. Carl Diener (1862 – 1928), der Nationalökonom und Professor für Staatswissenschaften Dr. Lorenz von Stein (1815 – 1890), der Begründer der wissenschaftlichen Tierzucht Dr. Martin Wilckens (1834 – 1897) sowie Carl Faulmann (1835 – 1894), von dem eine radikal verkürzte Stenographie sowie die von ihm so bezeichnete Phonographie stammt, und an den eine Gasse im 4. Bezirk erinnert.

Kaum zuordenbar ist die interessante Persönlichkeit des Gottlieb August Wimmer (1791 – 1863), evangelischer Pfarrer in Oberschützen (damals zu Ungarn gehörig), Autor zahlreicher Reisebücher und Gründer des ersten vierjährigen Lehrerseminars in Österreich; da er sich am Balkan und in Ungarn nicht nur als Bibelverbreiter und Gründer von Lehrinstituten, sondern auch politisch betätigte, musste er 1848 (in einem Weinfass versteckt) aus Oberschützen fliehen; nach seinem Aufenthalt in Amerika leitete er in Bremen die „Bibelgläubige Partei“ bevor er wieder nach Wien zurückkehrte. Bereits 1875 wurde im 5. Bezirk die Wimmergasse nach ihm benannt.

Ich möchte Wimmer den Politikern zu reihen – denn er hat vor allem gegründet – nicht nur verwaltet; der ehemalige Reichskanzler Friedrich Ferdinand von Beust (1809 – 1886) gilt als Vater des Ausgleichs mit Ungarn 1867. Der in seinen Reformversuchen glücklose Handelsminister und Finanzminister Carl Ludwig von Bruck (1798 – 1860) hingegen tötete sich selbst als er unschuldig in einen Unterschlagungsprozess verwickelt wurde.

Zu den Politikern ist auch der Pädagoge Dr. Friedrich Dittes (1829 – 1896) zu zählen, der sich für die Trennung von Kirche und Schule einsetzte und 1873 – 1879 dem Reichsrat angehörte.

Auch die im letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs hingerichteten Favoritner Freiheitskämpfer Johann Mithlinger (1898 – 1944), dessen Namen auch eine Wohnhausanlage im 10. Bezirk trägt, und Johann Sokopp (1913 – 1944) fanden hier ihre letzte Ruhe.

Auch erfolgreiche Industrielle haben ihre Gräber am Matzleinsdorfer Platz wie der Textilproduzent und -exporteur, Kunstsammler und Mäzen Rudolf (von) Arthaber (1795 – 1867), nach dem der Arthaberplatz im 10. Bezirk benannt ist, auf dem ein von Rudolf Schröer gestaltetes Relief den von der Familie gestifteten Brunnen ziert. Große Verdienste um die Errichtung und Erhaltung des Matzleinsdorfer Friedhofs erwarb sich der merkantil wie auch bildungspolitisch engagierte Seidenfabrikant und spätere Handelsminister Theodor Friedrich (von) Hornbostel (1815 – 1888), der auch die Handelsakademie in Wien gründete und 1860 in den Adelsstand erhoben wurde. Wenn man vor seinem Grabmal steht, das ein ähnlich byzantinisch anklingendes Mosaik trägt wie die Christuskirche, hat man diese perspektivisch im Hintergrund. Nach ihm wurde bereits 1855 die Hornbostelgasse im 6. Bezirk benannt.

 

  1. Literatur und andere Quellen

Czeike Felix, Historisches Lexikon Wien, 6 Bände / 2. Band. Kremayr & Scheriau, Wien (aktualisierte und erweiterte Auflage) 2004.

Dehio Wien, II. bis IX. und XX. Bezirk, bearbeitet von Czerny Wolfgang/ Keil Robert/ Lehne Andreas/ Podbrecky Inge/ Roy Rainer/ Steiner Ulrike/ Vancsa Eckart. Verlag Anton Schroll, Wien 1993.

Humphrey Caroline / Vitebsky Piers, Sakrale Architektur. Modelle des Kosmos – Symbolische Formen und Schmuck – Östliche und westliche Traditionen. Köln 2002.

Konnert Wilfried, Favoriten im Wandel der Zeit. Wien 1974.

Peda Kunstführer Nr. 543/ 2001, Passau 2001.

Schubert Werner, Favoriten. Von der Siedlung zur Großstadt. Wien 1980.

Stöter-Bender Jutta, Engel, ihre Stimme, ihr Duft, ihr Gewand und ihr Tanz. Stuttgart 1988.

Wolf Michael, Ausgesuchte Prominentengräber auf dem Evangelischen Friedhof Wien – Favoriten, Matzleinsdorf. Krems 2001 (2. Auflage).

 

Zweistündiges Interview mit Pfarrer Dr. Michael Wolf am 22. 11. 2012

 

http://de.wikipedia.org/wiki/Theophil_von_Hansen, abgerufen am 26. 10. 2012

http://wienwiki.Wienerzeitung.at/WIENWIKI/Theophil_Hansen, abgerufen am 26. 10. 2012

www.friedhoefewien.at/EvangelischerFriedhofMatzleinsdorf, abgerufen am 2. 12. 2012

 

[1] Wolf, S. 8.

[2] Konnert, S. 59.

[3] Abbildung in: Humphrey/ Vitebsky, S. 151.

[4] Abbildung in: Humphrey/ Vitebsky, S, 156.

[5] A. a. O., S. 166.

[6] A. a. O., S. 167.

[7] A. a. O.,  S. 147.

[8] Ströter-Bender, S. 177.

[9] Da bin ich nicht sicher, ob das der richtige Name für solche Ausbuchtungen zum Einsetzen von Bildern oder Skulpturen ist … ?