Narzissmus
Ob ich Donald Trump für einen Narzissten halte – oder gar Mahatma Gandhi oder Martin Luther King, fragte mich der Journalist, weil sie doch unentwegt in die Öffentlichkeit drängten? Nein antwortete ich (nachzulesen in der heutigen Furche): Gandhi war Rechtsanwalt, King war Pastor, beide Berufe qualifizieren ihre Angehörigen dazu, überzeugende Reden zu halten – das sei ja wesentlicher Bestandteil dieser Profession, weswegen man sie bezahle. (Außerdem sollte man auch bedenken, dass beide eine „Prophetenberufung“ hatten – nämlich Ungerechtigkeiten aufzuzeigen – und dass sie ihr Risiko, ermordet zu werden, kannten – es gab ja genug Drohungen! Einen Narzissten würde das abschrecken und zu einer mehr oder weniger eleganten „Risikoverschiebung“ anregen – aber das würde man schlussendlich erkennen und ihm übel nehmen.)
Bei Trump beobachte ich nicht das typische narzisstische Lächeln (wie bei Boris Johnson) und die triumphierende Freude an der eigenen Überlegenheit, das Runtermachen anderer (wie bei Nigel Farage). Trump zeigt typische Anzeichen von Anstrengung, Kraft darzustellen, seine Atmung ist gepresst, sein Blick leer, seine Mundwinkel sind beleidigt herabgezogen, seine Gestik ist stereotyp – so etwas ist nicht antrainiert, sondern enttarnt sich als Haltung, nicht genug Anerkennung zu erhalten (und die wird gleich auf das ganze Land verschoben: to make America great again) – aber das würde ich nicht als narzisstische Dauerkränkung pathologisieren, sondern als Verbitterung verstehen – vielleicht wegen des Alterns? Wegen befürchteter Enttarnung als Popanz? […]